Drachenboot
aus seinem Blick schloss. Der magere Junge von kaum zwölf Jahren war erwachsen geworden, seine wirren Locken waren gekämmt und geölt und fielen auf die Schultern seines weißen Hemdes, das er über einer grünen Hose trug.
»Soll das etwa ein Bart sein?«, wollte Finn wissen, und errötend schlug Jon Asanes auf die schmutzige, raue Hand, die ihm übers Kinn fuhr. Der kleine Olaf sah interessiert zu, sagte aber nichts.
»Entweder ihr seid geflogen«, sagte Jon, indem er rittlings auf einer Bank Platz nahm und sich Bier einschenkte, »oder meine Nachricht an euch ist noch nicht angekommen.«
»Was für eine Nachricht?«, wollte Kvasir wissen, wurde jedoch von Thorgunna angestoßen, die bekannt gemacht werden wollte. Thorgunna hatte viel von dem Jungen gehört,
und man sah ihr an, dass er ihr mächtig gefiel. Es war auch schwer, nicht von ihm beeindruckt zu sein, denn trotz seiner Jugend hatte der Ziegenjunge jetzt eine breite Brust, aber immer noch schmale Hüften und dazu ein fröhliches, offenes Lächeln, das sich in seinen Augen widerspiegelte.
Jetzt trat Olaf hervor. Er musste zu Jon Asanes aufsehen, der viel größer war als er. Ich betrachtete die beiden, und es wurde mir klar, dass Jon damals etwa im gleichen Alter war wie Olaf, als wir ihn auf Zypern trafen und ihn den Ziegenjungen nannten. Und trotzdem, obwohl weniger als eine Handvoll Jahre Altersunterschied zwischen uns lag, fühlte ich mich so alt, dass ich sein Großvater hätte sein können.
»Du riechst gut«, sagte Olaf. »Aber nicht wie ein Mann. Eher wie eine Blume.«
Jon Asanes Reaktion überraschte mich, und ich merkte, wie viel er beim Umgang mit fremden Händlern gelernt hatte. Er zeigte keinen Ärger, wie man es von jemandem in seinem Alter erwartet hätte. Stattdessen grinste er.
»Und du riechst nach Fischdünger«, gab er zurück. »Und deine Augen können sich nicht entscheiden, welche Farbe sie haben wollen.«
Einen Moment starrten sich die beiden an, dann fing Olaf an zu lachen. Seine Freude war echt, und man sah, dass die beiden sich sympathisch waren.
»Die Nachricht?«, fragte ich, und Jon Asanes sah den kleinen Olaf noch einmal fröhlich an, ehe er sich zu mir wandte. Sein Gesicht verdüsterte sich.
»Ich schickte sie schon vor einiger Zeit, mit einem Händler aus Gotland«, sagte er und sah mich von der Seite an. »Ein alter Freund von dir ist angekommen«, fügte er hinzu. »Er wohnt bei Christusanhängern im Sachsenviertel. Ich sage Freund, aber ich bezweifle, dass das stimmt.«
Er schwieg und sah erst mich an, dann die anderen.
»Ich habe es Tvorimir nicht gesagt«, erklärte er, »da ich es für besser hielt, wenn so wenige wie möglich davon wussten.«
Mich überlief es kalt, und das lag nicht daran, dass es durch die Tür zog. Soroka sah mich an und verzog sein Mondgesicht zu einem Grinsen.
»Ich kann gehen, wenn du willst«, sagte er, aber ich schüttelte den Kopf; ich vertraute Tvorimir – na ja, soweit wie man einem Händler, der Soroka, Elster, genannt wurde, vertrauen konnte – und außerdem hatten wir in dieser Gegend wenige Freunde. Ich wandte mich wieder an Jon Asanes und fragte, obwohl ich die Antwort schon wusste: »Wer?«
»Martin, der Mönch. Er sagt, er hat eine Nachricht für dich.«
»Bei Odins Auge«, knurrte Finn. »Schon wieder dieser Name, wie ein fremder Scheißhaufen im eigenen Scheißhaus. Und ich dachte, der ist tot.«
»Noch nicht«, erwiderte Jon grinsend, »obwohl er fast wie eine Leiche aussieht.«
»Ich hatte auch gehofft, dass ich ihn in Serkland zum letzten Mal gesehen hätte«, gab Kvasir zu. Thorgunna, die einen Teil der Unterhaltung mitbekommen hatte, schwieg, und Sovkok, der das alles verwundert angehört hatte, sah von einem zum anderen und verlangte nach einer Erklärung.
»Was will er denn?«, fragte ich, und wieder wusste ich die Antwort. Den Schaft seiner heiligen Lanze natürlich, der sicher in ein Seehundsfell gewickelt in meiner Seekiste schlummerte. Jon Asanes bestätigte es.
»Dafür will er dir etwas erzählen, was ebenso wertvoll für dich ist, wie er behauptet.«
»Das bezweifle ich«, murmelte Finn, »der war doch schon immer schlüpfrig wie ein frisch gefangener Hering.«
Sie erzählten Soroka die Geschichte – wie Martin, der Mönch aus Hammaburg, zufällig das Geheimnis um Attilas Grabschatz entdeckt hatte und von Einar gezwungen worden war, es ihm zu verraten. Damit hatte er alle Eingeschworenen auf den mühevollen Weg nach diesem verfluchten
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