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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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zurück, »aber in diesem Fall ist er einem gewaltigen Irrtum unterlegen.«
    »Lass den Jungen in Ruhe«, klang Thorgunnas Stimme aus der Dunkelheit, worauf Finn lediglich seinen Rotz hochzog und ausspuckte, ohne darauf zu achten, wo er landete.
    »Ich sage, was ich will«, knurrte er patzig.
    »Du bist ein Dummkopf, Finn Rosskopf«, ertönte Martins heisere Stimme. Es war das erste Mal, dass der Mönch etwas anderes von sich gab als die weinerlichen Proteste, mit denen er bisher behauptet hatte, mit der ganzen Sache nichts zu tun zu haben. Und ausnahmsweise hatte er
diesmal sogar recht, aber die Tatsache, dass er dennoch mit uns gefangen genommen worden war, war für Finn eine so große Genugtuung, dass er sich nicht einmal darüber aufregte, von ihm als Dummkopf bezeichnet zu werden.
    »Dein Christengott hat sich wohl im Gewebe der Nornen verheddert«, kicherte Finn, und Martin drehte sich zu ihm um. Das Einzige, was man sah, waren seine Augen.
    »Der Herr lässt seiner nicht spotten«, sagte er mit seiner rauen Stimme. Finns Gelächter klang ebenso rau.
    »Dein lieber Gott macht sich doch über dich lustig, Priester. Jedes Mal, wenn du auch nur in die Nähe deines heiligen Knüppels kommst, nimmt er ihn dir wieder weg.«
    Martin hatte Schaum in den Mundwinkeln, und er gestikulierte wütend mit den Händen, wie um Finns Worte zu verscheuchen.
    »Du verstehst eben immer noch nicht, warum es besser ist, Christus zu folgen«, sagte er. »Was kann denn dein Gott mit dem Ziegenwagen jetzt für dich tun? Oder dein einäugiger Allvater, der Kumpan aller Teufel? Nichts geben sie dir, und du wirst ohne Segen sterben. Ich dagegen brauche nur zu beichten und meine Sünden zu bereuen, und Christus gibt mir das ewige Leben. Heutzutage lebt doch niemand mehr so wie ihr, das wird dir Orm sicher bestätigen.«
    Es gefiel mir nicht, wie dieser Mönch mich auf seine Seite zu ziehen versuchte, und das sagte ich ihm. Außerdem, dass ich nicht viel von einem Geschäft hielt, bei dem man erst sterben musste, um gerettet zu werden.
    »Immer noch besser als das, was eure Götter zu bieten haben«, kläffte Martin zurück. »Die retten euch vorm Tod, nur damit ihr in diese Festhalle kommt – und wozu? Damit ihr am Ende der Welt wieder für sie kämpfen und noch einmal für sie sterben dürft?«
    »Jeder Mensch muss einmal sterben«, kam Olafs Stimme
aus der Dunkelheit. »Das ist der Preis, den man fürs Leben zahlt und für das, was die Nornen weben – und zum Schluss kann man nur noch versuchen, es so anständig wie möglich hinter sich zu bringen.«
    Das war so gut gesagt, dass selbst der wütende Finn nichts dagegen einwenden konnte.
    Martin schnaubte. »Daran sieht man doch nur, wie wertlos dieser alte Aberglaube ist – wenn man keine Wahl hat, ist der Mensch nur ein wertloser Sklave seines Schicksals, was für euch Heiden die Nornen sind. Von all dem hat Christus uns frei gemacht.«
    »Ihr wollt frei sein?«, fragte Olaf schlagfertig. »Ihr Christusanhänger erzählt doch allen Leuten dauernd, was sie dürfen und nicht dürfen.«
    »Das wäre in deinem Falle auch gar nicht so schlecht gewesen«, brummte Finn. »Vielleicht wäre dir dann nicht die Hand mit der Axt ausgerutscht. Du elender Wicht – was glaubst du eigentlich, wer du bist? Etwa Egil Skallagrimsson?«
    Darüber musste Kvasir leise lachen, denn die Geschichte von dem sechsjährigen Egil, der einen älteren Jungen beim Kampf mit der Axt getötet hatte, war in ganz Island bekannt und schließlich auch bis zu uns gedrungen, und so war Egil berühmt geworden.
    In der Dunkelheit hörten wir Olafs Kinderstimme:
    »Mein Mund hat Mühe
Die Zunge zu bewegen,
Um abzuwägen und auszusenden
Das richtige Wort;
Nicht leicht ist’s
Odins Eingebung anzunehmen
In der Tiefe meines Herzens.
Meine Hoffnung ist dahin.«
    Wir waren sprachlos, denn die meisten von uns wussten, dass dies eine Strophe aus Egil Skallagrimssons Totenklage für seinen Sohn war. Kvasir murmelte ein beeindrucktes »Heya«, und selbst Finn knurrte anerkennend.
    Ich erinnere mich an Kvasirs Fischatem dicht an meinem Ohr, als er sagte: Dieser Junge ist nicht erst neun Jahre alt.
    »Wenigstens hat es dir einen Moment die Sprache verschlagen, Rosskopf«, krächzte Martin in die Stille. Im schwachen Licht von oben hob sich seine dunkle Gestalt vor dem noch dunkleren Felsen ab.
    »Orm hätte dich umbringen sollen, als er die Gelegenheit dazu hatte«, antwortete Finn bitter und schlang die Arme eng um seinen

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