Drachenboot
Schließlich setzte Finn sich ungeduldig auf und deutete auf den Pfad, der den Berg hinaufführte. ›Das ist der beste Weg, von dort bin
ich gekommen‹, sagte er. Dann legte er sich wieder hin und machte die Augen zu. Seine Freunde stritten nicht länger und trugen ihn über den Berg, und immer noch beklagten sie den schweren Unfall. Sie kamen zu Finns Hof, genau wie er gesagt hatte. Als sie an der Schmiede vorbeikamen, trat der Schmied heraus, um zu sehen, was da passiert war, und Kvasir und Jon legten Finn auf die Erde, damit er ihn ansehen konnte. ›Wir fanden ihn tot unter einer Eiche‹, erklärte Kvasir. ›Ein Ast ist auf ihn gefallen und hat ihn erschlagen.‹
Finn machte ein Auge auf und sagte: ›Nein, das stimmt nicht. Ich saß auf dem Ast, und er ist abgebrochen.‹ Damit machte er das Auge wieder zu.«
Inzwischen mussten wir alle so lachen, dass die Wächter sich an der vergitterten Öffnung drängten, offenbar waren sie völlig perplex über dieses Gelächter, denn so etwas hatten sie aus diesem Gefängnis noch nie gehört.
»Der Schmied schüttelte traurig den Kopf«, fuhr Olaf fort, »und Kvasir und Jon hoben Finn wieder auf und trugen ihn zu seinem Haus. Doch als sie dort ankamen, war niemand da. Also legten sie ihn auf den Boden und berieten, was sie machen sollten. Es war alles sehr verwirrend. Wie sie noch am Überlegen waren, kam ein Hund herein und leckte Finn das Gesicht. ›Schmeißt ihn raus!‹, schrie Finn, ›gibt es hier keinen Respekt vor den Toten?‹«
Ich dachte, Thorgunna, Kvasir und Jon Asanes würden vor Lachen zusammenbrechen, sie konnten nur noch keuchen, und die Tränen liefen ihnen übers Gesicht.
»Also jagten sie den Hund hinaus und fingen wieder an, sich zu bereden«, erzählte Olaf weiter. »Schließlich, als nichts passierte, setzte Finn sich auf und rief ungehalten: ›Ruft meine Frau! Wahrscheinlich ist sie irgendwo da draußen und tratscht.‹ Dann legte er sich wieder hin und machte
die Augen zu, und seine Freunde riefen seine Frau. Es dauerte auch nicht lange, da kam sie weinend angerannt, die anderen Dorfweiber hinter ihr her. Die Dorfbewohner drängten sich ins Haus, bis es voll war, und Kvasir erzählte wieder, wie sie ihn gefunden hatten. ›Ein Ast von einer Eiche fiel auf ihn und hat ihn getötet‹, sagte er. Finn brüllte jetzt vor Wut. ›Ich habe drauf gesessen, und er brach ab!‹, schrie er, ›wie oft muss ich euch das noch sagen?‹ Worauf seine Frau, die viel vernünftiger war, als er es eigentlich verdiente, ihn darauf aufmerksam machte, dass er, wenn er tot wäre, nicht sprechen könnte. ›Das ist richtig – aber wie du siehst, ist er doch tot‹, sagten die anderen. ›Denn er behauptet es ja.‹ Seine vernünftige Frau wandte dagegen ein, dass er eben wahrscheinlich doch nicht tot sei. Finn setzte sich auf und sagte ärgerlich: ›Martin, der Mönch, sagte, ich würde bestimmt runterfallen und dabei umkommen. Und ich fiel. Er hatte recht. Er behauptet, dass er immer die Wahrheit spricht. Und deshalb muss ich tot sein.‹ Seine kluge Frau erinnerte ihn daran, dass der Mönch ihn ja nur vorher gesehen hatte, ihn aber nicht hatte fallen sehen. ›Nichts als Streiterei und Widerrede!‹, rief Finn empört und rappelte sich auf, ›wann hört das endlich mal auf?‹ Und er nahm seine Axt und ging aus dem Haus. ›Wo gehst du hin?‹, fragte seine Frau. ›Feuerholz holen‹, sagte Finn und verschwand über den Berg. Und alle staunten über diesen fürsorglichen Mann, der nur daran dachte, dass seine Frau es warm haben sollte, obwohl er doch tot war.«
Finn schlug Olaf auf die Schulter, während die verwunderten Wächter oben unsere Lachsalven hörten.
»Bei Odins haarigem Arsch, Junge, du kannst Geschichten erzählen«, sagte er. »Ich wünschte nur, du wüsstest ebenso gut, wann man seine Axt gebrauchen sollte und wann nicht.«
Martin sagte gar nichts, er saß da und blickte düster vor sich hin. Aber schließlich half uns dieses Gelächter, dass wir aus dem Loch kamen, denn die Wachen meldeten, die da unten seien alle wahnsinnig geworden und feierten irgendetwas, worauf Krähenbein und ich nach oben gezogen und vor den Prinzen Wladimir geführt wurden.
Der Prinz war fast noch ein Kind, kaum älter als Olaf. Er regierte diese Stadt, seit er vier Jahre alt war. Der Ältestenrat der Stadt, das Wetsche, hatte Wladimirs Vater Swjatoslaw, dem Prinzen von Kiew, ein Ultimatum gestellt: Entweder er schicke einen seiner Söhne, um sie zu regieren,
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