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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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Prinzen ritten nebeneinander, begleitet von den wuchtigen Gestalten Sigurds und Dobrynjas sowie einigen handverlesenen Männern der Druschina in voller Rüstung, mit Helmen und Lanzen, an denen Wimpel flatterten. Sklaven und Viehtreiber mussten zur Seite springen, wenn sie nicht niedergeritten werden wollten. Es fiel mir auf, dass viele der Viehtreiber Männer aus Klerkons Mannschaft waren, die jetzt als schlecht bezahlte Helfer hier mitzogen, angelockt vom Glanz des fernen Silberschatzes.
    Ich nahm mir fest vor, sie im Auge zu behalten, falls der eine oder andere glaubte, Klerkons Tod rächen zu müssen.
    Natürlich hatte ich diesen Vorsatz schon eine Woche später wieder vergessen, als die eisige Wintersteppe uns umklammert hielt und wir kaum noch einen vernünftigen Gedanken fassen konnten. Zunächst schneite es Tag und Nacht, dann ließ der Schneefall nach, aber nur, um einem eisigen, stürmischen Wind Platz zu machen. Dann
wieder Schnee, kleine trockene Flocken, die sich rings um unser Lager, wo die Feuer brannten, zu hohen Wällen auftürmten.
    Der Schnee fiel fein wie Mehl von einem bleigrauen Himmel, er trieb wie riesige Rauchwolken übers Land und stach das Gesicht. Aber vor allem wuchs er höher und höher, sodass man schließlich die Füße nicht mehr anheben konnte, sondern durch den Schnee hindurchpflügen musste. Und dennoch, als ich einmal kurz mein Gesicht aus dem stechenden Wind drehte und mich umsah, war hinter uns alles schon wieder weiß und zugeweht. Der Schnee duldete nicht einmal, dass wir Spuren hinterließen.
    Das Weiße Nichts nannte Tien es, und er musste es wissen, er war ein Bulgare vom Itil-Fluss, der bei den Slawen Wolga heißt. Wladimir hatte Tien zusammen mit ein paar Chasaren als Führer mitgenommen, und sein eigener Name, wie er uns grinsend berichtete, bedeutete »Nichts«.Und das war richtig – tien war der Name einer kleinen Münze, eines Nichts in der Sprache seines Stammes, der sich Eksel nannte.
    »Ich tausche mit dir«, seufzte Lambi, »mein schöner Name gegen deinen Mantel und die Mütze.«
    Tien lachte und zeigte seine kräftigen, gesunden Zähne. Er trug eine kegelförmige Pelzmütze mit Ohrenklappen, einen langen Zobelmantel, der mit einer Schärpe gegürtet war, und lange Pelzstiefel, was Bewunderung und Neid hervorrief. In seiner Schärpe steckte jedoch ein Dolch, und Tiens Hand war nie sehr weit davon entfernt – besonders wenn Chasaren in der Nähe waren.
    Swjatoslaw hatte, ehe er starb, die Macht der Chasaren gebrochen, und die bulgarischen Stämme, die sie einst dominiert hatten, waren jetzt frei. Tien war der lebende Beweis dafür, denn er hatte die alten Gebräuche der Eksel wieder aufgenommen, sogar bei der Berechnung von Jahren
und Jahreszeiten, was in den Augen der chasarischen Juden heidnisch und eine Beleidigung war.
    »Jetzt ist die Zeit der Kleinen Fröste, im zweiten Jahr des Igels«, teilte er uns am letzten Abend unserer ersten Woche in der Steppe mit, und der Feuerschein huschte über sein Gesicht. Das Lager war so eingeschneit, dass niemand sich selbst zu privaten Verrichtungen sehr weit davon entfernte, denn man sah keine hundert Schritt weit und erkannte höchstens etwas bläulichen Rauch. Bei Nacht verschwand sogar der rote Feuerschein.
    »Kleine Fröste?«, brummte Gyrth. »Wenn die noch größer werden, wird Finns anderes Ohr auch abfallen.«
    Finn, der es nicht gern hatte, wenn man auf sein fehlendes Ohr anspielte, warf ihm einen bösen Blick zu, und alles lachte, weil es Gyrth zur Abwechslung mal gelungen war, ihn zu ärgern. Doch die Heiterkeit hielt nicht lange vor. Die Kälte drang allen ins Mark, denn selbst am Feuer, wo Gesicht und Zehen warm wurden, blieb der Rücken eiskalt. Es war einem einfach nicht nach Lachen zumute.
    Tien zuckte die Schultern. »Es war schon kälter«, sagte er und sah hinüber zu den Chasaren, die zuhörten, sich aber nicht dazu äußerten.
    Dankbar ließ er sich von Kvasir das Horn noch mal füllen. Der grüne Wein war kalt wie das Herz einer Hure, aber er wärmte den Magen, und Tien schmatzte genießerisch. Finn machte eine ärgerliche Bemerkung, weil Kvasir so zitterte, dass er beim Einschenken etwas davon verschüttete, denn er liebte grünen Wein, und wir hatten nur wenig davon mitgenommen.
    »Wir haben auch mal gegen die Chasaren gekämpft«, sagte Tien, »sogar als wir noch selbst zur chasarischen Bevölkerung gehörten und sonst niemand den Mut dazu aufbrachte.«
    Die Chasaren schwiegen, aber selbst im

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