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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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Feuerschein wirkten ihre Augen eiskalt. Die chasarischen Juden waren rothaarig und blauäugig, während der kleine Ekselbulgare dunkel wie ein Zwerg war – und vielleicht war er auch einer, wie Jon vermutete, denn er wusste mehr über die alten nordischen Götter als sonst die Griechen.
    »Aber leider mussten wir fliehen«, sagte Tien, »denn ich war damals erst ein Junge. Wenn ich schon hätte kämpfen können wie ein Mann, hätten wir bestimmt gewonnen. Wir zogen weiter und weiter nach Norden, bis der Winter kam.«
    Er nahm einen Schluck, und wir warteten. Er leckte sich genießerisch grinsend die Lippen und sah ins Feuer. »Damals war der grüne Wein dickflüssig wie Honig, so kalt war es«, sagte er verträumt. »Und die Bäume sind vom Frost mit lautem Knall geborsten, und wenn sie umfielen, sah man bläuliche Flammen. Damals habe ich zum ersten Mal die Sterne flüstern sehen.«
    »Was?«, fragten wir ungläubig.
    »Das Flüstern der Sterne«, wiederholte er und stieß eine lange Atemwolke aus. »Wenn man spricht, lässt der Atem deine Worte zu Eis werden, und sie fallen als Flüstern zu Boden«, erklärte er.
    Dazu wusste niemand etwas zu sagen, aber man hörte einen verächtlichen Schnaufer. Er kam von Avraham, einem der Chasaren, ein stattlicher Mann mit finsterem Blick, dem man seine Überheblichkeit schon von ferne ansah.
    »Deine Geschichten passen zu deinem Namen, Kleiner«, sagte er. »Aber wie du schon sagtest, ihr seid geflohen, weil wir euch in die Flucht geschlagen haben, also ist deine kindliche Erinnerung wahrscheinlich durch Kummer und Schande etwas getrübt.«
    »Und wie ist es euch mit Kiew ergangen?«, fragte Tien schlagfertig. »Wie Dreck haben sie euch behandelt, und ihr wart so arm, dass jedes Haus gerade mal ein Schwert und ein Eichhörnchenfell besaß. Und dann haben sie euch erledigt, und das war eindeutig der Wunsch von Senmerv, der Göttermutter. Meine Erinnerung an das brennende Itil ist jedenfalls völlig ungetrübt.«
    Avraham wollte aufstehen, wurde aber von Morut, seinem kleineren Nachbarn, zurückgehalten. »Bulgarien ging es auch nicht besser, wenn ich mich richtig erinnere«, sagte er leise, und Tien musste mit einem angedeuteten Nicken zugeben, dass Swjatoslaw die Hauptstadt seiner Leute auch niedergebrannt hatte.
    Avraham machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte: »Das kommt davon, wenn man eine Frau anbetet. Der Schöpfer von Himmel und Erde ist natürlich ein Mann. Eine Frau anzubeten ist doch völliger Blödsinn, denn wie alle wissen, ist die Frau dem Mann untertan, und warum sollte es im Himmel anders sein?«
    Von der anderen Seite des Feuers kam ein verächtliches Schnauben, und ein paar der Männer, die Thorgunnas typischen Kommentar mitbekommen hatten, lachten.
    »Oior pata«, sagte Tien, und die beiden chasarischen Juden erstarrten.
    »Davon sprechen wir nicht«, sagte Avraham kategorisch.
    »Was ist das denn?«, wollte Jon Asanes wissen. »Ist das der Name einer jüdischen Göttin?«
    Avraham brummte etwas und sah Jon wütend an. »Wenn ich den Eindruck hätte, dass du dich ernsthaft um die Wahrheit bemühst, würde ich dich aufklären«, erwiderte er. »Aber du würdest dich ja sowieso nicht überzeugen lassen und trotzdem weiterhin diese widerwärtigen heidnischen Götter des Nordens anbeten.«
    »Ich bin Christ«, sagte Jon ungehalten.
    Avraham verzog den Mund.
    »Den Juden allein, als dem auserwählten Volk Gottes, ist die Erkenntnis über die wahre Natur des Schöpfers zuteilgeworden«, sagte er knapp.
    »Das hat euch aber gegen Swjatoslaw und die slawischen Götter auch nicht viel geholfen«, bemerkte Finn, und der Chasare bedachte ihn mit einem finsteren Blick.
    »Wir sind ein Volk im Exil«, sagte er bitter. »Sobald wir ein Land gefunden haben und uns niederlassen und unabhängig leben wollen, werden wir von anderen Völkern wieder auseinandergetrieben. Man beneidet uns, weil wir von Gott auserwählt sind.«
    »Mir scheint eher, dass große Herrscher nur auf ihren eigenen Vorteil aus sind«, gab ich zu bedenken. »Die Römer zum Beispiel, erst helfen sie einem Volk, und dann unterstützen sie wieder die, die gegen dieses Volk kämpfen.«
    »Die Römer sind auch Christen«, sagte Avraham und sah Jon feindselig an. »Sie hassen uns.«
    »Was meint er damit?«, wollte Finn wissen, und Jon zuckte die Schultern.
    »Die Juden haben Jesus getötet«, sagte er. »Das weiß doch jeder.«
    »Wirklich?« Begeistert wandte Finn sich an Avraham. »Ihr habt diesen

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