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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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Marsch also«, sagte Dobrynja schließlich schulterzuckend und sah mich an. »Was ist schon dabei?«
    »Dann macht es doch«, knurrte Finn ungeduldig, als ich in der Scheune, die die Eingeschworenen hier stolz ihre Halle nannten, den anderen davon erzählte. »Was zum Henker soll denn so ein Woidedoi sein oder dieses andere Ding?«
    »Wodjanoi«, sagte Krähenbein. »Der Wassermann. Man sagt, er entführt junge Mädchen und verwandelt sie in Russalken, Wassergeister, die in der Marsch und am Flussufer leben. Diese Russalken sind wunderschön, mit weißer Haut und langem grünem Haar, das immer feucht ist, denn wenn ihr Haar trocknet, dann sterben sie. Deshalb haben sie immer Kämme dabei, und wenn sie sie durch ihr Haar ziehen, können sie das Land überfluten. Man sagt, sie können sich auch in Wasservögel verwandeln und haben Schwimmhäute zwischen den Zehen …«
    Er verstummte, weil er merkte, dass wir ihn alle anstarrten.
    »Ich kenne da eine Geschichte über sie«, sagte er trotzig.
    »Dann behalte sie für dich«, fuhr Finn ihn wütend an. »Diesem Dorfältesten ist wohl der Hirnkasten eingefroren. Glaubt der diesen ganzen Quatsch wirklich?«
    »Nun, wenn er verrückt sein sollte«, meinte Thorgunna, »dann sind die anderen in diesem Dorf es auch – denn auch hier in diesem Haus trauern eine Frau und ihr Mann um eine Tochter.«
    Es war Kowatschs eigene Tochter, die mit einem Holzlöffel in jeder Hand Bier rührte und uns schluchzend erzählte, wie sie draußen einen Schatten gesehen hatten, und gleich darauf hatten sie einen unterdrückten Schrei gehört. Ihre Wangen waren rau vom Weinen und von der Kälte,
ihre traurigen braunen Augen rot gerändert. Ich sagte ihr nicht, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können  – wenn sie von Sigurd und Dobrynja an den Daumen aufgehängt und verhört worden wäre. Sie klang schon jetzt völlig verängstigt, und ihre Tränen waren echt.
    Ihr Mann behauptete, er hätte das Geschöpf mit einer Sichel angegriffen, und ich beobachtete ihn genau, wie er die Geschichte – mit vielen Ausschmückungen – erzählte. Sein Gesicht war so breit und flach, dass Wangen und Nase wie Galläpfel an einer Eiche wirkten, deren Rinde vom Wind stark verwittert war. Er trug sein Haar, das offenbar noch nie geschnitten worden war, zu Zöpfen geflochten, deren Enden versengt und stark gekräuselt waren.
    Er sah nicht aus wie jemand, dem man leicht Furcht einjagen konnte. Seine Arme waren hart und muskulös und mit Bildern von Pferden verziert.
    »Schuppig wie ein Hühnerbein«, fügte er bestätigend hinzu, aber dabei wanderte sein Blick unruhig hin und her, und ich fragte mich, warum.
    Der Wodjanoi hatte seine Tochter entführt, die vierzehn Jahre alt war. Wie ich von ihrer Mutter und den anderen erfuhr, war sie eine kleine Schönheit mit weizenblondem Haar. Es gab noch weitere Geschichten, von entführten Töchtern und verschwundenen Tieren, und weil diese Menschen waren, wie sie waren, trauerten sie zwar um ihre Verluste, doch sie akzeptierten sie. Und doch war an dieser Geschichte irgendetwas faul, ich wusste nur noch nicht, was.
    Ich saß da und dachte nach, umgeben von Gemurmel und dem Gelächter von Menschen, die satt waren und warme Füße hatten; es roch nach Bier und ungewaschenen Körpern. Ein kleines Mädchen, das auf einem Auge blind war, sodass man nur das Weiße sah, spielte »Fuchs und
Hühner« mit den Männern, und sie lachten, als die Kleine mit großem Geschick gewann.
    Im Schein des Feuers saß ich mit Finn, Kvasir und einigen anderen zusammen, und mit gedämpften Stimmen, so leise wie der aufsteigende Rauch, sprachen wir über die Aufgabe, die zu erledigen man jetzt offenbar von uns erwartete.
    Keinem von uns war sonderlich wohl bei der Vorstellung, schuppigen Wassermännern nachzustellen, die lautlos über das tückische Marschland huschten, einen Fluss durchquerten, Palisaden überwanden und Wächtern entwischten, während sie blökende Kälber und um sich schlagende Jungfrauen mit sich führten.
    Wir redeten uns die Köpfe heiß und kamen immer wieder zum selben Ergebnis: Es blieb uns keine andere Wahl, als zu diesem Ort in der Marsch zu ziehen und herauszufinden, was es mit der Sache auf sich hatte.
    »Höchstwahrscheinlich werden wir dort nichts weiter finden als ein paar zerlumpte Geächtete«, meinte Kvasir. »Ihr werdet schon sehen. Ausgestoßene, die sich alles, was sie zum Leben brauchen, zusammenklauen müssen, sogar jemanden zum

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