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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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heulten sie, aber die Katze war schon weg. Im nächsten Moment tauchte sie im Hof des alten Mannes auf. Der alte Mann lag in seiner zerschlissenen Robe auf einem Lager aus Stroh. Er hatte alles verkaufen müssen, um seine Schulden zu bezahlen. Durchs Fenster sah die Katze, dass auch der Garten ganz verwildert war. ›Ich danke dem weißen Christus, dass du zurückgekommen bist‹, sagte der alte Mann. ›Ich war dem Tode nahe. Nun gib mir mein Kreuz.‹ Stattdessen nahm die Katze das Amulett ins Maul und rannte damit fort, und der alte Mann sah ihr fluchend nach. Er sah Martin, die Katze, nie wieder. Ein paar Monate später, als er im Sterben lag, hörte er Hundegebell vor seiner Tür, und
eine Meute hinkender Hunde kam hereingeplatzt, müde, durstig, schmutzig und mit zerrissenen Ohren. ›Zu spät‹, sagte der alte Mann. ›Die Katze ist mit dem Amulett fortgelaufen. ‹ Dann drehte er das Gesicht zur Wand und starb. Die Hunde schlichen hinaus, sie heulten und stritten miteinander und fingen an, die Katze zu suchen, aber Martin war längst über alle Berge. Und seit dem Tag kämpfen alle Hunde miteinander, und sie hören nur auf, wenn sie eine Katze sehen, die sie jagen können, denn noch immer hoffen sie, es sei Martin mit dem Amulett. Sie trauen seitdem keiner Katze mehr – und wenn der Mensch klug ist, tut er es ebenfalls nicht, denn nicht alle, die ein Kreuz umhängen haben, sind gute Christen.«
    Der Wind heulte in der Stille, die jetzt entstanden war, und ich war der Einzige, der leise lachte. Plötzlich erschraken einige, weil es schien, als sei etwas über uns hinweggeflogen.
    »Nur eine Eule auf der Jagd«, sagte Martin kurz, dann schalt er Thorkel, Tyrfing und die anderen wegen ihrer Schreckhaftigkeit.
    »Das kommt davon, wenn man diesem verwünschten Jungen zuhört«, rief er, und sie duckten sich noch tiefer in ihre Mäntel, weil sie nicht nur ihn, sondern auch die Kälte und die lange Nacht auszuhalten hatten. Dann sah er Olaf von der Seite an und bekreuzigte sich.
    »Wenn du solch ein Christenamulett hast«, brummte Tyrfing, der vor Kälte zitterte, »dann wäre das jetzt eine gute Gelegenheit, es zu benutzen, Priester.«
    Martin schüttelte nur den Kopf ob solcher Dummheit. Die Stille war unheimlich.
    »Eine gute Geschichte«, flüsterte ich Krähenbein zu. »Ich glaube, sie hat ins Schwarze getroffen.«
    Er sah mich mit großen, ernsten Augen an. »Die Eule
hat mir gesagt, wir sollen morgen auf der Hut sein«, sagte er. »Es wird etwas passieren, und wir sollten darauf vorbereitet sein.«
    Er starrte wieder in die Flammen, und ich spürte die Gänsehaut, die ich immer bekam, wenn das Andere uns nahe war – es war, als werde die Haut zwischen den beiden Welten durchlässiger.
    Am Tag mochte er neun Jahre alt gewesen sein, dieser kleine Krähenbein, aber jetzt bei Nacht war er es eindeutig nicht.
     
    Am nächsten Morgen war Tyrfing tot. Er saß an der erkalteten Feuerstelle, in seinen Umhang gewickelt und weiß vor Raureif. Sein Gesicht war ein blasses Blau und seine Augen mit den bereiften Wimpern wie von Silberdraht verschlossen.
    »Er hat Glück«, sagte Olafs helle Stimme, und die anderen Männer blickten ihn düster an; Heg holte sogar aus, als wolle er ihm eine Ohrfeige geben, aber seine Freiheit war ihm noch zu ungewohnt, als dass er es gewagt hätte.
    Martin, der in dieser Wildnis aus Schnee und gefrorenen weißen Birken wie eine dunkle Narbe wirkte, versetzte den Männern Schläge, und allmählich kamen sie in Bewegung, langsam, wie unter Wasser. Thorkel trug mit seinen Flüchen und Ohrfeigen ebenfalls dazu bei, und sie stolperten in eine Welt, die aussah wie das Innere des Schädels von Ymir, dem Frostriesen. Ein riesiger Bogen aus frostigem Himmel und verschneiter Ebene, der keinen Anfang und kein Ende hatte und von Minute zu Minute grauer wurde.
    Das letzte Pony, das zitternd vor Kälte und Hunger mit hängendem Kopf dastand, wurde geholt, und Martin befahl uns, wieder auf den Schlitten zu steigen.
    »Die beiden sollten auch was tun«, wandte Drumba
mürrisch ein. »Das eine Pony kann ja nicht alles ziehen. Lass sie aussteigen und schieben helfen.«
    Martin gab nach, und wir stiegen aus, steif vor Kälte, außerdem tat mein Kopf noch immer weh, und jeder Schritt verursachte mir einen stechenden Schmerz. Der Wind trieb Schnee in mein Gesicht, und der Himmel wurde immer unheilvoller.
    »Was auch passiert«, sagte Olaf und sah mich an, »mach dir keine Sorgen. Gestern habe ich eine

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