Drachenboot
vor Kälte um die neuen Gräber standen, die wir der hart gefrorenen Erde mit Äxten und viel Schweiß abgerungen hatten. Dies waren noch Männer vom alten Schlag.
Ich benutzte die Gelegenheit, sie mit ein paar passenden Worten daran zu erinnern, welchen Preis man dafür zahle, wenn man den Schwur bräche. Eigentlich musste das niemandem erklärt werden, denn alle, die mit Martin und Thorkel losgezogen waren, waren tot, und Finn ließ sie nicht im Zweifel darüber, dass jeder, der dasselbe versuchen
sollte, keine Gelegenheit mehr haben würde, Odins Zorn zu spüren.
Wir verbrachten den Morgen damit, uns abmarschbereit zu machen und neue Methoden auszuprobieren, uns gegen die Kälte zu schützen. Dann banden wir die Pferde los, klopften die Pflöcke aus der gefrorenen Erde, kratzten den Pferden mit dem Sax Eis aus den Hufen und machten uns endlich auf den Weg nach Süden, in die endlose Steppe.
Einmal noch drehte ich mich im Sattel um und blickte zurück auf das Dorf. Auf dem Erdwall sah ich eine Gestalt, und obwohl ich sie nicht genau erkannte, wusste ich, es war Tien. Ich spürte, wie er mir noch lange nachblickte.
Die Steppe dehnte sich vor uns aus wie ein Meer mit gefrorenen Wellen. Der Himmel war so weit, und die Wolken segelten schnell dahin und ballten sich zu immer neuen Formen zusammen, wie Holzrauch im Wind.
»Ich glaube, nur der Wind rettet uns«, sinnierte Gyrth düster, doch weil es durch den Wind nur noch kälter wurde, bekam er nur Knurren und Murren zur Antwort.
»Der Schnee hat einen Plan«, sagte Gyrth zwischen keuchenden Atemzügen. Sein Atem dampfte und ließ seinen Bart zu Eiszapfen gefrieren. »Er möchte die Welt in eine einzige weiße Decke hüllen, so rein wie ein gebleichtes Leintuch, aber der Wind lässt es nicht zu. Ich möchte hier ein wenig mehr hinbringen als dort, sagt der Wind. Lass es uns von diesem Dach und von dem Baum dort holen, sagt er. Der Schnee hasst den Wind, kann aber nichts gegen ihn machen. Und deshalb kann man an einem windstillen Tag im Winter den Schnee seufzen hören, denn er weiß genau, der Wind wird wieder kommen und sein ganzes Werk zunichtemachen.«
Wir mussten lachen, was uns ein wenig wärmte, aber doch nur ein wenig. Unsere Finger und Zehen schmerzten,
und wir wickelten sie in Vadmaltuch und stopften Gras dazwischen, die feinen Samenköpfe des gelben Steppengrases waren der beste Schutz gegen die Kälte. Das sorgte zwar dafür, dass unsere Zehen nicht schwarz wurden, aber es machte unsere Füße so dick, dass sie nicht mehr in die Steigbügel passten.
Ein Tag verging wie der andere. Pferde starben, eins nach dem anderen, und die Männer, die sie geritten hatten, schleppten sich zu Fuß weiter. Ein paar Männer der Druschina warfen ihre Rüstung weg, denn das Gewicht der langen zweigeteilten Röcke machte das Gehen doppelt schwer. Die Eingeschworenen, die das Marschieren gewohnt waren, machten sich über sie lustig – bis Sigurd einen der Slawen zur Warnung tötete, und damit hörte das Wegwerfen der Rüstungen und auch das Gelächter auf.
Jetzt hörten wir nur noch das Seufzen des Schnees.
Sechzehn weitere Männer starben in ebenso vielen Tagen, hauptsächlich Slawen, doch zwei der Eingeschworenen blieben ebenfalls zurück. Sie waren zu steif gefroren, um sie gerade hinlegen zu können, und wir mussten ihnen die Arme brechen, damit wir sie ihnen über der Brust kreuzen konnten. Klepp Spaki hauchte in seine kalten Hände und schnitzte die Runen ihrer Namen in kleine Knochenstücke, Halli war der eine, Throst Silfra der andere. Beide hatten sich einfach hingelegt und geduldig auf die Erlösung von Hunger und Kälte gewartet, auf den sanften kalten Schlaf, während der weiße Rabe seine großen Flügel über sie ausbreitete.
Throsts engste Rudergefährten, Tjorvir, Finnlaith und Ospak, warfen etwas Hacksilber in das flache Grab, dann kam Finnlaith zu mir, das breite Gesicht unter einem Gewirr von vereistem Bart versteckt und rot vor Kälte. Seine Augen waren blau wie Eis.
»Tjorvir, Finnlaith und ich, wir vermuten, dass Throst auch von Thorkels Verrat wusste«, sagte er, und diese Eröffnung verschlug mir zunächst die Sprache. Das war eine Anklage für ein Thing, wo die Tradition es gebot, dass der Sprecher nicht getötet werden durfte.
»Deshalb ist es auch keine Überraschung für uns, dass Odin ihm das Glück entzog«, fuhr er ruhig fort. »Wenn von denen, die mit Thorkel kamen, noch mehr sterben sollten, dann sollst du aber wissen, Jarl Orm,
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