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Drachenboot

Drachenboot

Titel: Drachenboot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Low
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Spitznamen eingebracht hatten: der Schöne. Und merkwürdigerweise beneidete Olaf Lambi um sein Alter, nur wenige Jahre mehr, und auch er wäre ein junger Falke im Wind gewesen.
    »Es war einmal ein Geächteter, der hatte die Zeit überschritten, die man ihm zugestanden hatte, um das Land zu verlassen«, begann Olaf mit so leiser Stimme, dass nur die es hören konnten, die unmittelbar neben ihm saßen. »Nennen wir ihn … Lambi. In einem Hof, wo ein Fest gefeiert wurde, hatte er so viel getrunken, dass er einschlief. Da träumte er, dass die anderen Gäste ihn töten wollten, denn jetzt war er ja Freiwild. Von jeder Seite kamen vier Mann auf ihn zu. Einer hatte einen Speer, um ihm die Augen auszustechen. Einer hatte eine Axt, um seine Finger zu Brei zu schlagen und seine Beine abzuhacken. Einer hatte ein ziemlich großes Schwert, mit dem er seine Kehle durchschneiden wollte, und der Letzte hatte ein Messer, damit wollte er seinen Schwanz abschneiden und ihm ins Ohr stecken.«
    Lambi stieß ein keuchendes Lachen aus, dann fing er an zu husten und konnte lange nicht wieder aufhören. Als er sich beruhigt hatte, fuhr Olaf fort.
    »Lambi wachte mit einem lauten Schrei auf, denn er merkte, dass er tatsächlich in einer Festhalle lag und schnarchte, doch er war nicht unter Freunden – er war von Feinden umgeben. Einer hatte einen Speer und sah aus wie jemand, der einem die Augen ausstechen könnte. Ein Zweiter trug eine Axt, mit der er ganz bestimmt schon
viele Finger zerquetscht hatte. Der Dritte hatte ein großes Schwert – aber der vierte Mann mit dem Messer schien nicht dabei zu sein. Lambi sah sich überall um, aber es war tatsächlich kein vierter Mann da. ›Ich danke dir, Odin‹, keuchte er und legte sich wieder hin, während die Männer näher kamen, ›es war also nur ein furchtbarer Traum.‹«
    Lambi kicherte und hustete und zuckte, seine Brust hob und senkte sich noch einige Male mühsam, dann war er still. Thorgunna hielt ihre feuchte Wange dicht vor seinen Mund, dann schüttelte sie den Kopf und schloss ihm die Augen. Jon Asanes ließ den Kopf hängen und weinte hemmungslos.
    Finn stieß einen tiefen Seufzer aus. »Freiwild«, sagte er leise, »das wollte er für niemanden sein. Und am Ende ist das auch alles, was man erhoffen kann.«
    »Eine gute Geschichte«, sagte ich zu Olaf. »Du hast ihm das geschenkt, was er wollte, und das kann nicht jeder für seinen sterbenden Freund tun. Du hast eine seltene Gabe.«
    Krähenbeins verschiedenfarbige Augen glänzten, und er schüttelte den blonden Kopf, der in dem Licht der Halle so weiß aussah, dass er fast wie ein kleiner alter Mann wirkte.
    »Manchmal kann es auch eine Last sein«, flüsterte er.
     
    Eigentlich wollten wir unsere Toten verbrennen wie früher, denn wir wussten, die Dorfbewohner würden die Leichen sofort wieder ausgraben und ihnen alles abnehmen. Doch Wladimir weigerte sich, denn dazu hätten wir ein Gebäude abreißen müssen, um genügend Holz für einen Scheiterhaufen zu haben.
    »Du hast ihnen schon das Winterfutter genommen, und sie werden ihre Tiere ohnehin schlachten müssen«, brummte Sigurd, der wütend war, weil seine Toten unter dem Schnee keine Ruhe finden würden. »Bis zum Frühjahr
werden sie ihre Gürtel und ihre Schuhriemen fressen – was ist da schon eine Hütte mehr oder weniger?«
    Wladimir verschränkte die Arme und funkelte den Hauptmann seiner Druschina streng an. »Noch mögen sie das Volk meines Bruders sein, aber eines Tages werde ich über sie regieren, und ich will, dass sie mich fürchten – aber hassen sollen sie mich nicht.«
    Sigurd konnte diesem Argument nicht folgen, das merkte man – ich selbst hatte Schwierigkeiten mit dieser Logik, aber Jon Asanes sorgte dafür, dass Wladimir lächelnd nickte.
    »Der Prinz ist der Hirte seines Volkes«, erklärte er. »Ein Hirte schert die Schafe, aber er schlachtet sie nicht.«
    Ich überließ sie sich selbst, mochten sie argumentieren, so viel sie wollten. Mir war zumute wie jemandem, der sich auf spiegelglattes Eis begeben hat. Ich wusste, dass Jon und Wladimir und der kleine Olaf die Zukunft waren, genau wie die Jarls und Prinzen und Könige, die jetzt regierten und Entscheidungen fällen mussten. Ich wusste aber auch, dass ich im Moment zu keiner klaren Entscheidung fähig war und dass Jon Asanes ein geeigneterer Jarl dieser neuen Zeit war als ich.
    Aber er war kein Jarl der Eingeschworenen. Nein, nicht für sie, die jetzt in kleinen Gruppen und stampfend

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