Drachenboot
dass das der Wunsch eines anderen Gottes ist und nicht Odins Fluch über einen Eidbrüchigen.«
Damit nickte er und stampfte davon. Er hatte mir klarmachen wollen, dass ich mich, auch wenn ich sonst niemandem trauen konnte, felsenfest auf diese drei verlassen konnte.
Gut zu wissen, dachte ich bitter. Es gab immer weniger Männer, auf die wirklich Verlass war, selbst unter den Eingeschworenen. Knochen, Blut und Stahl hatten in der Kälte Risse bekommen, und selbst die Furcht vor Odin, die sonst alle zusammenband, war brüchig geworden. Die Männer waren einfach erschöpft, und wir alle, die wir hier wortlos die Eiseskälte ertrugen, fragten uns, ob wir nicht heute oder morgen dasselbe machen würden wie Throst – uns einfach hinlegen, bis unser Herz aufhörte zu schlagen. Ich wusste, dass einige ebenfalls mit diesem Gedanken spielten.
Dann war da noch mein Schwert mit den Runen auf dem Griff. Es steckte noch immer in dem Bündel, das Martin geschnürt hatte, und ich hatte mir angewöhnt, es wie einen Bogen über der Schulter zu tragen. Die Männer dachten, ich täte es, um mir jederzeit den Griff ansehen zu können, aber in Wirklichkeit wollte ich lediglich den Anschein erwecken.
Tatsächlich nämlich waren die Runen völlig nutzlos, denn wir kamen von Norden und müssten erst Sarkel erreichen und von dort aus zurückgehen, um Attilas Grab zu finden. Doch diese Tatsache wollte ich den Männern, die vor Kälte fast umkamen, nicht auch noch zumuten.
Die Knochenstücke mit Klepps Runen legten wir den Toten auf die Zunge, in der Hoffnung, sie auf diese Weise auf dem Rückweg wiedererkennen zu können, denn die Wölfe würden sie aus den flachen Gräbern, in denen wir sie jetzt beisetzen mussten, wieder ausgraben. Einige fragten, ob das nicht völlig überflüssig sei, denn sie glaubten nicht daran, dass wir im Sommer wieder hier vorbeikommen würden, um ihre Gebeine ordentlich zu begraben.
Der Wind setzte sich durch, und das Land veränderte sich, die blendend weiße Wildnis wurde von immer mehr dunklen Flächen unterbrochen, bis wir schließlich über eine endlose graubraune Ebene zogen, hart gefroren und nur leicht mit Schnee überpudert, der hier und da zu Verwehungen zusammengetrieben war. Ab und zu eine Gruppe kahler Bäume, die ihre Äste wie Krallen in den eisigen Himmel reckten, darunter das gefrorene Steppengras, durch das der Wind fuhr, sodass es klang wie Zähneklappern.
»Die ganze Welt besteht nur noch aus Eis«, jammerte Jon Asanes in dieser Nacht, als er sich zitternd an jeden drängte, den er finden konnte, wie wir alle es machten, wenn wir um unsere Feuer saßen, die wir mit Pferdemist nährten. Wer immer in der Nähe der Pferde war, schaufelte ihn zusammen, sobald er fiel, und steckte ihn sich in die Kleider, um die Wärme zu spüren und ihn am Gefrieren zu hindern, damit er später brannte. Doch das Futter wurde knapp, die Pferde fraßen weniger und schissen weniger. Wenn sie nicht einfach starben.
»Das hier ist noch gar nichts«, erwiderte Onund Hnufa. »Ich war auf Walfang im Norden, wo sich das Eis zu Gebirgen auftürmt. Wenn es um Eis geht, macht mir niemand etwas vor.«
»Ja«, stimmte Gisur zu, als sei er auch dort gewesen, aber bei ihm handelte es sich nur um Wunschdenken.
»Es ist eine Welt aus Eis, dort oben in Bjarmaland«, fuhr Onund fort mit seiner Bassstimme, die wie ein brünstiger Seelöwe klang. »Im Herbst und im frühen Winter bildet sich das Meereis draußen im milchweißen Wasser, das den Sand enthält, den das Eis beim Vorbeischrammen vom Land abgerieben hat. Das Eis, das mit dem Land verbunden ist, heißt Festeis; das bricht im Frühling mit den Gezeiten auseinander. Eisschollen sind große, flache Eisstücke, wie diese Kacheln, aus denen sie in den Kirchen die Bilder zusammensetzen, von denen du uns erzählt hast, Händler. Der Wind und die Wellen zerbrechen sie in kleine Stücke und nehmen sie mit. Packeis besteht aus Eisschollen, die wie Schafe zusammengetrieben und aneinandergedrängt werden. Es gibt Packeis, das ist eine Handbreit dick oder noch mehr, und trotzdem gibt es nach und schmiegt sich wie ein Tuch an die Wellen an. Eis kann auch alt werden, wie Menschen. Das muss man wissen, wenn man mit dem Schiff in seine Nähe kommt. Junges Eis ist klar, eine Handbreit dick und bröckelig wie trockenes Brot – da kann man mühelos durchfahren. Einjähriges Eis ist eine Mannslänge dick, und nach zwei Jahren ist es noch dicker, es ragt weit aus dem Wasser. Es hat
Weitere Kostenlose Bücher