Drachenboot
stand mühsam auf. Er strich sich über den Bart und sah Jon an.
»Diese Weisheit mit dir zu teilen wäre so, wie Met in ein bereits volles Horn zu gießen, mein Junge«, sagte er schließlich. »Denn es wäre die reine Verschwendung.«
Die Männer grinsten, und Jon wurde rot. Müde drehte Bjaelfi sich um und stieß fast mit mir zusammen.
»Jarl Orm …«
»Bjaelfi. Wie steht es um ihn?«
Der Heilkundige schüttelte traurig den Kopf mit dem wirren Haar. »Er wird sterben. Die Kälte ist in seine Lunge eingedrungen. Das habe ich schon oft gesehen, und ich habe ihm gegeben, was ich ihm in diesem Fall geben kann – Honig, Lindenblüten, Birkensaft, dazu ein gutes
Gebet an Freya, das ich noch kenne. Manche erholen sich damit, und ich hatte gedacht, dass er es auch schafft, denn er ist jung. Aber Lambi hat eine schwache Brust, er hat schon lange gehustet.«
Der kleine Mann trat wieder an Lambis Lager, und Kvasir tauchte neben mir auf. Sein Gesicht wirkte unheimlich in der Dunkelheit, das eine Auge von der Augenklappe verdeckt, das andere noch mit Holzkohle bemalt, zum Schutz gegen den Schnee, wie eine weitere Augenklappe.
»Von den Männern der Druschina werden heute Abend auch noch zwei sterben«, sagte er leise. »Einer hat dasselbe wie Lambi, der andere blutet aus dem Arsch. Er hat so lange zum Scheißen draußen gehockt, dass sein Scheißloch gefroren ist, und dann ist etwas geplatzt, haben sie mir erzählt. Ein erbärmlicher Tod für einen Krieger.«
Thorgunna erschien mit einer Schale, aus der es appetitlich duftete, dazu gab sie mir einen Kanten dunkles Brot. Lächelnd nickte sie mir zu. »Schwere Zeiten für uns, Händler«, sagte sie. »Ich wünschte wahrhaftig, ich wäre wieder in Hestreng. Dort habe ich ein Federbett, das vermisse ich jetzt sehr. Ingrid und Botolf werden es bestimmt schön gemütlich darunter haben.«
Es klang sehnsüchtig, aber nicht bitter. Sie hatte mich bei dem Namen genannt, den ich in glücklicheren Zeiten getragen hatte: Händler.
Ich strich mitfühlend über ihren Arm, denn ich wusste, wie ihr ums Herz war. Wahrscheinlich war sie krank vor Sorge darüber, was wir noch alles durchmachen müssten, ehe sie wieder zu Hause bei ihrem Federbett sein könnte. Sie wandte sich um und trieb die beiden schottischen Thrall, Hekja und Skirla, zur Arbeit an.
Später, als Bjaelfi mir andeutete, dass die Zeit gekommen war, ging ich zu Lambi, der schwer atmend und schwitzend
dalag, sein Haar klebte ihm am bleichen Gesicht. Finn war schon da, ebenso Thorgunna und Thordis, die Lambi kalte Tücher auflegten und beruhigend auf ihn einsprachen. Sie glaubten nicht mehr daran, dass es ihm noch helfen würde, und taten es eher, um sich selbst abzulenken.
Jon Asanes stand blass und mit geröteten Augen auf der anderen Seite des Lagers und hielt Lambis Handgelenk. Die beiden waren gleichaltrig und waren vom ersten Moment, als sie sich in Kiew kennengelernt hatten, Freunde gewesen und hatten miteinander getrunken und gelacht, wie junge Männer es eben tun. Ich selbst war auch nicht viel älter, und doch kam ich mir im Vergleich zu ihnen uralt vor. Ich konnte nie an ihren Vergnügen teilhaben und beneidete sie, wenn sie ihre Kräfte maßen oder, die Arme umeinandergelegt, umhergingen.
»Heya«, sagte ich leise zu Lambi. »Hier liegst du also, und die Frauen tanzen um dich herum. Hätte ich mir ja denken können.«
Er brachte ein schwaches Lächeln zustande, doch das Atmen machte ihm so viel Mühe, dass er nicht sprechen konnte. Seine Augen waren unruhig und voller Angst.
»Ich … habe … nichts gemacht«, brachte er heraus, und Finn schüttelte den Kopf.
»Die Götter brauchen keinen Grund für das, was sie tun«, brummte er bitter.
»Nein. Ich meine … ich habe … noch nicht … gelebt. Ich wollte … einen Namen … bekannt sein …«
Erschöpft verstummte er, und Finn stieß einen Laut aus, als habe er einen Schlag erhalten. Seine Kaumuskeln arbeiteten unter dem Bart. Olaf erschien, und Lambi grinste ihn mühsam an, während er angestrengt nach Luft rang.
»Eine Geschichte«, sagte er. »Eine lustige … aber mach ’s kurz. Ich muss noch … wohin.«
Olaf nickte. Er hatte die Zähne so fest zusammengebissen, dass ich mich fragte, wie er überhaupt sprechen konnte. Auch diese beiden waren Freunde gewesen, erinnerte ich mich. Lambi hatte Olaf wegen seiner Fähigkeiten und seines Standes bewundert, und Olaf war immer hingerissen von Lambis Kleidern gewesen, die ihm seinen
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