Drachenelfen
fremden Haus zu sein. Sie wußte nicht wohin
sich wenden, was tun, wo hinaus.
Und dann entdeckte sie Hugh.
Sie wußte, er war tot. Sie hatte noch versucht,
ihm zu danken, ihm zu sagen, daß sie jetzt verstand, doch er hatte sie
verlassen, zu schnell. Sie sank neben Hugh zu Boden, ergriff die kalte Hand,
drückte sie an die Wange. Sein Gesicht war im Tode gelöst und verriet einen
Frieden, den er im Leben nie gekannt hatte; einen Frieden, um den Iridal ihn
beneidete.
»Du hast dein Leben für mich geopfert, für
meinen Sohn«, sagte sie zu ihm. »Ich wünschte, es wäre anders gekommen, und du
könntest sehen, daß ich dieses Geschenk nutzen werde. Du hast mich so viel
gelehrt, aber längst nicht genug. Du könntest mir helfen. Und ich hätte dir
helfen können, die Leere in deinem Herzen auszufüllen. Warum habe ich es nicht
getan, als sich mir die Gelegenheit bot?«
»Was wäre aus ihm geworden, denkt Ihr, wenn er
nicht hätte sterben müssen?« fragte Alfred.
»Ich denke, er würde versucht haben,
gutzumachen, was ihm im Leben gefehlt hat. Er war ein Gefangener. Wie ich. Doch
es ist ihm gelungen zu entkommen, jetzt ist er frei.«
»Auch Ihr seid frei.«
»Und allein«, sagte Iridal.
Sie saß neben dem Toten, hielt seine leblose
Hand, und ihr Kopf war leer wie ihr Herz. Es war ihr lieb so. Sie fühlte nichts
und hatte Angst zu fühlen. Der Schmerz kam sicher, grausamer als
Drachenpranken: Trauer und das Bewußtsein unwiederbringlichen Verlustes.
Nur ganz am Rande war sie sich Alfreds bewußt,
der seinen feierlichen, gravitätischen Tanz aufführte, so unvereinbar mit dem
schütteren Haar, den flatternden Rockschößen, übergroßen Füßen und plumpen
Händen, wie er da zwischen den Trümmern hüpfte und Kreise und Schleifen zog.
Sie wußte nicht, was das zu bedeuten hatte. Es war ihr gleichgültig.
Sie saß auf dem Boden, hielt Hughs Hand fest und
fühlte seine Finger zucken.
Das konnte nicht sein. »Mein Verstand spielt mir
einen Streich. Wenn man sich etwas sehr wünscht, bildet man sich ein…«
Die Finger bewegten sich im Griff ihrer Hand,
unkontrolliert, im Todeskampf.
Nur, daß Hugh schon geraume Zeit tot war, tot
und kalt und starr.
»Ich verliere den Verstand«, sagte Iridal vor
sich hin und legte die Hand wieder auf die leblose Brust. Dann beugte sie sich
vor, um die starren Augen zu schließen, die plötzlich auf ihr ruhten, mit einem
Blick, der aus unendlichen Fernen zurückkehrte. Seine Lider flatterten. Seine
Hand hob sich kraftlos. Seine Brust weitete sich unter einem röchelnden
Atemzug.
Er stieß einen furchtbaren Schrei aus, voller
Entsetzen und Todesqual…
Als Iridal wieder zu sich kam, lag sie in einem
fremden Zimmer, in einem fremden Haus – dem Haus eines der anderen
Mysteriarchen des Hohen Reichs.
Alfred stand neben ihrem Bett und sah mit einem
ängstlichen Ausdruck im Gesicht auf sie nieder.
»Hugh!« rief Iridal und richtete sich auf. »Wo
ist Hugh?«
»In guten Händen«, sagte Alfred still und – so
kam es Iridal vor – bekümmert. »Macht Euch seinetwegen keine Sorgen. Einige
Eurer Freunde haben ihn mitgenommen.«
»Ich will ihn sehen!«
»Ich glaube nicht, daß das klug wäre. Bitte legt
Euch wieder hin.«
Er hantierte mit der Decke, zog sie ihr über die
Schultern, stopfte die Enden unter die Matratze, strich nicht vorhandene
Falten glatt.
»Ihr solltet ausruhen, Lady Iridal. Ihr habt
Schreckliches erlebt. Der Schock, die Angst. Hugh hätte es fast das Leben
gekostet, aber er wird sich erholen…«
»Er war tot«, unterbrach ihn Iridal.
Alfred vermied es, sie anzusehen. Er machte sich
weiter an der Bettdecke zu schaffen.
Iridal versuchte seine Hand festzuhalten, doch
Alfred erwies sich als zu flink. Er wich ein paar Schritte zurück. Als er
weiterredete, redete er zu seinen Schuhen.
»Hugh war nicht tot. Es mag so ausgesehen haben.
Das Gift hat – hat manchmal diese Wirkung…«
Iridal warf die Decke ab, stand auf und trat vor
Alfred hin, der rückwärtsgehend aus dem Zimmer zu entkommen versuchte, doch er
stolperte über seine eigenen Füße, stolperte und hielt sich an einer
Stuhllehne fest.
»Er war tot. Ihr habt ihn ins Leben
zurückgeholt!«
»Nein, nein! Das ist Unsinn.« Alfred stieß ein
gekünsteltes Lachen aus. »Ihr – Ihr habt einen schweren Schock erlitten. Ihr
bildet Euch das ein. Wie sollte ich das können? Niemand könnte das!«
»Ein Sartan. Ein Sartan könnte es«, sagte
Iridal.
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