Drachenelfen
fast eine Prügelei angefangen.« Grams Augen waren groß und rund.
»Haplo?« Es klang ungläubig.
»Du kannst jeden fragen. Alle haben es gesehen.«
Leichte Übertreibungen konnten nichts schaden. »Eine Frau sagte, er hätte
irgendeine Krankheit. Sie wollte ihm helfen, aber er hat sie weggestoßen und
ist weitergegangen. Ich habe sein Gesicht gesehen. Er war böse.«
»Labyrinthkoller.« Xars Miene wurde weicher.
»Das überkommt uns alle…« Gram erkannte, daß es ein Fehler gewesen war, die
Sache mit der Krankheit zu erwähnen; unabsichtlich hatte er seinem Feind ein
Schlupfloch geöffnet. Er beeilte sich, den Fehler wiedergutzumachen.
»Haplo ist zum Letzten Tor gegangen. Das durfte
er doch nicht, Großvater. Du hast ihm gesagt, er soll mich nach Arianus
bringen, und stattdessen geht er einfach weg. Ist das richtig?«
Xars Augen wurden schmal, doch er zuckte mit den
Schultern. »Es besteht kein Grund zur Eile, er kann sich Zeit lassen. Das
Letzte Tor übt auf viele von uns eine große Anziehungskraft aus. Du verstehst
das nicht…«
»Aber er wollte hineingehen ins Labyrinth«,
beharrte Gram. »Ich weiß es. Und du willst doch nicht, daß er das tut, oder? Du
hast ihm befohlen, mich nach Arianus zu bringen. Er ist ungehorsam
gewesen.«
»Woher weißt du, daß er hineingehen wollte,
Kind?« fragte Xar gedehnt.
»Weil der Sartan es zu ihm gesagt hat. Und Haplo
hat nicht gesagt, daß er lügt!« Gram triumphierte.
»Welcher Sartan? Ein Sartan im Nexus?« Fast
hätte Xar aufgelacht. »Du mußt geträumt haben. Oder du erfindest das alles.
Hast du die Geschichte erfunden, Kind?« Der Fürst sah streng auf Gram hinunter.
»Ich sage die Wahrheit, Großvater«, verteidigte
der Junge sich feierlich. »Ein Sartan erschien aus dem Nichts. Er war ein alter
Mann in einem grauen Gewand und mit einem gräßlichen, albernen Hut…«
»War sein Name Alfred?« Xar runzelte die Stirn.
»O nein! Ich kenne Alfred, das weißt du doch,
Großvater. Das war er nicht. Haplo nannte diesen Mann ›Zifnab‹. Er sagte, er
wüßte, daß Haplo ins Labyrinth gehen wollte, um Alfred zu suchen, aber das wäre
falsch, und er würde nicht lange genug am Leben bleiben, um ihn zu finden. Und
Haplo hat gesagt, er braucht Alfred, um in ein – Sanktuarium nach Abarrach zu
gehen und dir zu beweisen, daß du unrecht hast, Großvater.«
»Daß ich unrecht habe«, wiederholte Xar.
»Das hat er gesagt.« Gram ließ sich von der
Wahrheit nicht beirren. »Er wollte dir beweisen, daß du unrecht hast.«
Xar schüttelte bedächtig den Kopf. »Du mußt dich
täuschen, Kind. Einen Sartan im Nexus würde Haplo sofort zu mir gebracht
haben.«
»Das habe ich auch gedacht, Großvater«, sagte
Gram mit treuherzigem Augenaufschlag. »Aber er hat es nicht getan.« Kein Wort
von dem Drachen. »Er warnte den Sartan vor dir und sagte, er solle sich in
Sicherheit bringen.« Xar stieß zischend den Atem aus, die knorrige Hand auf
Grams Scheitel verkrampfte sich schmerzhaft im Haar des Kindes. Gram zuckte
zusammen, doch innerlich frohlockte er. Xar litt noch viel größere Schmerzen,
und Haplo würde es ausbaden müssen.
Plötzlich zog Xar dem Jungen den Kopf in den
Nacken und zwang die blauen Augen, seinen schwarzen zu begegnen. Der funkelnde
Blick des Fürsten durchbohrte den Jungen, drang ihm bis auf den Grund der Seele
– kein sehr tiefes Gewässer.
Gram hielt tapfer stand, ohne zu blinzeln oder
die Augen niederzuschlagen. Xar wußte, Gram war ein geschickter,
durchtriebener Lügner, und Gram wußte, daß Xar es wußte. Der Junge hatte
genügend Wahrheiten vorgeschoben, um die Lügen dahinter zu verbergen. Und mit
jener unheimlichen Einsicht in das Wesen von Erwachsenen – erworben in langen,
einsamen Stunden, wenn es nichts weiter zu tun gab, als sie zu beobachten –
ahnte Gram, daß Xar von Haplos Verrat zu tief getroffen war, um tiefer zu
forschen.
»Ich hab’s dir gesagt, Großvater«, meinte Gram
ernsthaft. »Haplo mag dich nicht leiden. Nur ich habe dich lieb.«
Der feste Griff in Grams Haar löste sich, Xar
gab den Jungen frei. Er richtete den Blick in eine unbestimmte Ferne; der
Schmerz, den er empfand, zeigte sich deutlich in dem verfallenen Gesicht, in
der plötzlich gebeugten Haltung, der kraftlosen Hand.
Das hatte Gram nicht erwartet und verspürte
einen scharfen Stich der Eifersucht, wegen der Macht, die Haplo über das Herz
des Fürsten besaß.
Liebe kann ein Herz
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