Drachenelfen
wäre!« rief die Gir verbittert.
»Damit könnte ich mich abfinden.« Sie wölbte die Hand über dem Kästchen, als
bedürfte ihr Liebling immer noch des Schutzes. »Es war Mord.«
»Menschen?« Die Miene des Hüters war grimmig.
»Die Rebellen?«
»Und was glaubt Ihr wohl, hätte mein Lämmchen,
eine Prinzessin von Geblüt, mit Menschen oder diesem Rebellengesindel 37 zu schaffen gehabt?« flammte die Gir
auf. In ihrem Schmerz und Zorn bedachte sie nicht, daß sie zu einem
Höherstehenden sprach.
Der Hüter verwies sie mit einem Blick auf ihren
Platz.
Die Gir schlug die Augen nieder und streichelte
das Kästchen. »Nein, es war ihre eigene Sippe, die sie tötete. Ihr eigen
Fleisch und Blut.«
»Du weißt nicht, was du sprichst«, sagte der
Hüter streng. »Welchen erdenklichen Grund…«
»Weil sie jung war und stark, ist ihr Geist jung
und stark.« Der Gir strömten die Tränen über die Wangen. »Das war bei der Toten
von größerem Wert als bei der Lebenden.«
»Ich kann nicht glauben…«
»Dann glaubt dies.« Die Gir tat das Unerhörte.
Sie griff nach dem Arm des Hüters und zog ihn zu sich heran; aus nächster Nähe
schaute er in ihr von namenlosem Grauen verzerrtes Gesicht. »Mein Lämmchen und
ich pflegten vor dem Zubettgehen einen Becher gewärmten Wein zu trinken. 38 Auch an jenem Abend teilten wir uns
den Schlaftrunk. Ich fand, er schmeckte merkwürdig, aber das mochte am Wein
liegen. Keiner von uns trank aus, wir legten uns früh hin. Mein Herzblatt war
in den Nächten zuvor von bösen Träumen heimgesucht worden…« Die Gir mußte
innehalten und sich fassen.
»Die Prinzessin schlummerte fast augenblicklich
ein. Ich machte mich noch im Zimmer zu schaffen, ordnete ihre Spitzen und
Bänder und legte das Kleid für den nächsten Tag zurecht, als plötzlich ein
seltsames Gefühl mich überkam. Die Hände und Arme wurden mir schwer, meine
Zunge war trocken und geschwollen. Nur mit Mühe erreichte ich das Bett, legte
mich hin und versank in einen merkwürdigen Dämmerzustand. Ich konnte sehen,
hören, war aber unfähig zu handeln. Und dann sah ich sie.«
Die Gir verstärkte den Griff ihrer Hand. Der
Hüter beugte sich näher zu ihr und war doch kaum in der Lage, die hastig
hervorgestoßenen Worte zu verstehen.
»Ich sah die Nacht zum Fenster hereinkommen!«
Der Hüter richtete sich stirnrunzelnd auf.
»Ich weiß, was Ihr denkt«, sagte die Gir. »Daß
ich berauscht war oder träumte. Aber ich schwöre, es ist die Wahrheit. Etwas
bewegte sich, dunkle Schatten verdeckten das Fenster und die Sterne dahinter.
Drei waren es. Einen Augenblick lang erschienen sie mir wie schwarze Löcher in
der Wand. Sie standen ganz still. Und dann verschmolzen sie mit dem
Mauerwerk und den Gobelins.
Aber ich konnte sie trotzdem noch erkennen, auch
wenn es aussah, als ob die Wände des Zimmers zum Leben erwacht wären. Sie
schlichen zum Bett, wo mein Herzblatt ahnungslos schlief. Ich versuchte zu
schreien, sie zu warnen, aber ich brachte keinen Ton heraus. Ich war hilflos.
Hilflos.«
Die Gir erschauerte. »Dann hob sich ein Kissen –
eins von den seidenen, bestickten Kissen, die sie mit ihren eigenen lieben
Händen genäht hatte – von unsichtbaren Kräften bewegt in die Luft und senkte
sich auf ihr Gesicht. Mein Lämmchen wehrte sich, selbst im Schlaf kämpfte sie
um ihr Leben. Die unsichtbaren Hände hielten das Kissen fest, bis – bis sie
sich nicht mehr regte. Sie lag still.
Dann spürte ich, daß einer von ihnen zu mir kam.
Nichts war sichtbar, keine Gestalt, kein Gesicht, dennoch wußte ich, es stand
jemand neben mir. Eine Hand berührte meine Schulter.
›Deine Anbefohlene ist tot, Gir‹, sagte die
körperlose Stimme. ›Rasch, walte deines Amtes.‹
Die schreckliche Lähmung fiel von mir ab. Ich
schrie und fuhr hoch, um das Wesen zu ergreifen und festzuhalten, bis die
Wachen kamen. Aber meine Hände griffen ins Leere. Sie waren fort.
Verschwunden, wie sie gekommen waren.
Ich lief zu meinem Liebling, aber sie war tot.
Die Mörder hatten ihr nicht einmal die Gnade gewährt, ihre arme Seele zu
erlösen. Ich mußte es tun. Mit dem Messer – in ihre zarte, weiße Haut… 39 Ich mußte…«
Die Gir begann haltlos zu schluchzen. Sie
bemerkte weder den Ausdruck auf dem Gesicht des Hüters, noch wie er die Stirn
in Falten legte oder seine großen Augen sich verdunkelten.
»Ihr habt geträumt«, sagte er.
»Nein«, erwiderte sie mit hohler Stimme. »Ich
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