Drachenelfen
verleihen und die Arme und
den Mut unserer Soldaten stärken.«
»Aber für wen spricht Krenka-Anris
heutigentags?« fragte Bruder Seele.
Bruder Pforte und Schwester Buch schwiegen.
»Wir werden fragen.« Der Hüter der Seelen wandte
sich wieder dem Altar zu. Der Hüter der Pforte und die Hüterin des Buches
knieten sich links und rechts neben ihn. Ein Fenster aus Kristall erlaubte
ihnen, ins Aviarium hineinzusehen. Der Hüter der Seelen nahm eine kleine
goldene Glocke vom Altar und läutete. Die Glocke hatte keinen Klöppel und
machte kein Geräusch, das lebende Ohren vernehmen konnten. Nur die Toten hörten
ihren Klang – so der Glaube der Kenkari.
»Krenka-Anris, wir rufen zu dir«, skandierte der
Hüter der Seelen und hob in flehender Gebärde die Arme. »Ehrwürdige
Hohepriesterin, die du zuerst des Wunders der Ewigen Seelen inne wurdest, höre
unser Gebet und komm herbei, um uns zu raten. Laßt uns anbeten.
Höre, Priesterin, uns, die wir rufen zu dir! Drei
Söhne, von Herzen geliebt, sandtest du in die Schlacht, gabst einem jeden –
geschaffen von deiner Hand – zum Schutz ein magisches Amulett.
Der Drache Krishach, Feuer sein Atem und Gift,
brachte Verderben den Tapferen, bittere Not; die Seelen entflohen dem toten
Leib, gebannt vom Zauber der Amulette, riefen sie stumm nach dir.
Die Stimmen der Söhne, von Herzen geliebt,
vernimmt die Mutter und macht sich auf
zur Walstatt, sie findet die Toten
und weint um sie, einen Tag für jeden.
Der Drache Krishach, Feuer sein Atem und Gift,
hört die Trauernde und eilt herbei, sie zu töten.
Krenka-Anris, deine Söhne, von Herzen geliebt,
spürten der Mutter große Bedrängnis;
eines jeden Seele sprang hervor
und war gleich einem funkelnden Schwert
in des Drachen Leib.
Krishach, zu Tode getroffen, stürzte vom Himmel,
die Kenkari waren gerettet.
Krenka-Anris, deine Söhne von Herzen geliebt, hast
du gepriesen, ihre Seelen bewahrt immerdar, zum Beistand, jetzt und künftig,
ihrem Volke, uns gelehrt das Geheimnis, das Bewahren der Seelen.
Höre, Priesterin, rat uns in der Stunde der Not,
es werden Leben geraubt, Blüten geknickt vor der
Zeit, um blinden Ehrgeiz zu fördern und streben nach Macht. Deine heilige
Lehre, segensreich einst, wird jetzt mißbraucht und entweiht. Sage uns, was
sollen wir tun. Krenka-Anris, wir flehen zu dir.«
Schweigend knieten die drei vor dem Altar, jeder
harrte für sich der Antwort. Keine Stimme ließ sich vernehmen, kein Flämmchen
brannte plötzlich auf dem Altar, keine Erscheinung im Strahlenkranz
materialisierte sich vor ihnen, aber jeder hörte die Erwiderung klar und
deutlich tief in seiner/ihrer Seele, wie zuvor das Läuten der stummen Glocke. Sie
standen auf und wandten sich einander zu, blaß, mit starren Gesichtern,
bestürzt und ungläubig.
»Wir haben die Antwort auf unsere Frage
erhalten«, sagte der Hüter der Seelen in ehrfurchtsvollem Ton.
»Wirklich?« flüsterte Bruder Pforte. »Wer vermag
sie zu deuten?«
»Andere Welten. Ein Tor des Todes, das zum Leben
führt. Ein Mann, tot und doch nicht tot. Wie soll man das verstehen?« Schwester
Buch schüttelte den Kopf.
»Wenn die Zeit gekommen ist, wird Krenka-Anris
alles offenbaren. Für den Augenblick liegt der Weg, den wir beschreiten müssen,
klar vor uns. Hüter«, er wandte sich an Bruder Pforte, »du weißt, was zu tun
ist.«
Der Hüter verneigte sich gehorsam, kniete ein
letztesmal vor dem Altar nieder und verließ die Kapelle. Der Hüter der Seelen
und die Hüterin des Buches warteten in dem kleinen Raum, lauschten mit
angehaltenem Atem und pochendem Herzen auf den Laut, den keiner von beiden je
zu hören erwartet hätte.
Dann war es soweit – ein dumpfes Dröhnen hallte
durch die Kathedrale. Ein Fallgitter aus Gold, anmutig gestaltet wie
Schmetterlinge im Flug, hatte sich herabgesenkt. Dem äußeren Anschein nach nur
eine Zierde, beinahe zerbrechlich, war das Gitter durch Magie verstärkt und
unzerstörbarer als jedes eiserne Portecullis einer Zwingburg.
Das große Hauptportal der Kathedrale dAlbedo war
geschlossen und würde sich so bald nicht wieder öffnen.
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Kapitel 10
Tiefer Himmel,
Mittelreich
Haplo wütete gegen einen Kerker, der offen war
und luftig und so groß wie die ganze Welt. Hilflos rüttelte er an Gitterstäben,
die ihm nicht mehr Widerstand boten als Spinnwebfäden. Er schritt ein Geviert
ab ohne Mauern, schlug mit den Fäusten gegen eine offene Tür, vor der keine
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