Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
Bidayn sich vorwärtsbewegte, stieg ein Fäkaliengestank auf, der sie fast ohnmächtig werden ließ. Sie hielt sich die Nase zu und atmete nur noch flach durch den Mund.
In Spalten im Gemäuer glänzten dunkle Augen. Ratten? Etwas streifte ihr linkes Fußgelenk. Das war keine Ratte gewesen! Was mochte in dieser Drecksbrühe überleben? Sie beschleunigte kurz ihre Schritte, hielt dann jedoch wieder inne. Der Boden im Kanal war zu rutschig. Eine zähe, seifige Masse bedeckte ihn. Bidayn stellte sich vor, wie es wäre, hier zu stürzen. Wie das Kloakenwasser ihr ins Gesicht und in die Augen spritzte. Nein, Eile konnte sie sich nicht leisten.
Vorsichtig, immer einen sicheren Stand suchend, tastete sie sich durch das Dunkel des Kanals. Wieder glitt etwas um ihre Knöchel. Was war das? Sie dachte an die Blutegel in den Sümpfen. Man merkte gar nicht, wie sie sich an der Haut festsaugten. Sie mussten wohl irgendein betäubendes Gift verwenden. Vielleicht konnte das auch anderweitig von Nutzen sein? Bei der Wundbehandlung auf dem Schlachtfeld vielleicht? Wenn man den Verletzten auf diese Weise vorübergehend die Schmerzen nehmen könnte, würde es ihre Behandlung erleichtern. Bidayn war keine Heilerin, über Wundpflege wusste sie nur wenig, aber sich in abstruse Gedanken zu flüchten, half, die Schrecken der Abwasserkanäle zu verdrängen.
»Schwester?«
Ein mattes Licht leuchtete neben ihr auf und enthüllte den etwas höher gelegenen Einstieg zu einem Seitentunnel, den sie ganz übersehen hatte. Ein alter Mann, dem ein Kranz grauer, strähniger Haare von seinem fast kahlen Schädel hing, empfing sie mit zahnlosem Lächeln. »Hier entlang, Schwester. Den Einstieg zu den drei Blüten übersieht man leicht.«
Sie nickte und hoffte, dass ihr der Menschensohn im Halbdunkel nicht allzu deutlich ihre Verwirrung anmerkte. Drei Blüten? Was sollte das sein?
»Du musst dich beeilen. Bruder Barnaba wird gleich mit seiner Predigt beginnen.«
»Danke«, sagte sie knapp und zwängte sich an ihm vorbei. Dieser Bruder trug nur ein ausgefranstes Tuch um die Hüften und war bis auf die Knochen abgemagert. Was wohl derart an ihm zehrte? Bidayn achtete darauf, ihn nicht zu berühren.
Wie immer trug sie dünne Handschuhe, um ihre vernarbten Hände zu verbergen, und hatte ihre Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Ihr war klar, dass sie auffällig angezogen war, viel zu warm für die schwüle Hitze in den Abwasserkanälen, aber der Menschensohn schien sich nicht daran zu stören.
»Beeil dich, mein Kind«, sagte er lediglich und lächelte sie aus freundlichen, braunen Augen an. Dann schirmte er seine mit dunklem Schmier bedeckte Öllampe mit einer Holzschale ab, sodass es wieder dunkel wurde.
Bidayns Nachtsicht war durch das Licht verloren. Sie ließ die Linke über die Tunnelwand gleiten und tastete sich voran. Bald hörte sie das leise Raunen vieler Stimmen. Ihr Kanal mündete in einen Tunnel, an dessen Ende Licht zu sehen war.
Zwei drahtige Männer mit wilden Bärten stiegen aus einem weiteren Seitentunnel. Ihre Beine waren bis zu den Knien mit Schlamm und Fäkalien bedeckt. Sie lächelten ihr zu, nickten und gingen dann auf das Licht am Ende des Tunnels zu.
Bidayn folgte ihnen. Überall an die Wände waren nun unförmige Flecken mit grüner Kreide gemalt. Zweimal sah sie auch die tanzenden Strichmännchen. War sie in eine geheime Zusammenkunft der Menschenkinder geraten, die die Grünen Geister wie Götter anbeteten? Gehörte Zarah zu diesen Verschwörern? Was hatte eine Menschentochter, die ihren Reichtum in vollen Zügen genoss, mit diesen Bettlern zu schaffen? Ihre Sorge war Neugier gewichen. Niemand wunderte sich, hier Frauen zu sehen, obwohl sie im Stadtbild so gut wie nie auftauchten. Bidayn spürte, hier galten andere Gesetze als über der Erde.
Der Tunnel mündete in einer großen, von Säulen gestützten Zisterne. Die schwarze Wasserfläche verlor sich in der Finsternis. Im Licht von Fackeln und Öllämpchen, die einige Menschenkinder mitgebracht hatten, sah die Elfe, dass der Uferabschnitt, an dem sie stand, als breite Treppe gestaltet war. Und auf diesen Stufen hatten sich Hunderte Menschenkinder eingefunden. Die meisten von ihnen waren zerlumpt, doch nicht alle. Am meisten verwunderte Bidayn, dass etwa die Hälfte der Versammelten Frauen waren. Manche hatten sich grell geschminkt und verbargen unter weiten Umhängen anzügliche Kleider, die ihre Brüste von Stoff unbedeckt ließen. Andere waren augenscheinlich die
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