Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
wird.« Sie wies ein Stück die Gasse hinab auf ein Haus, über dessen Fenstern schwarze Rußzungen auf dem Mauerwerk zu sehen waren. »Das war das Geschäft von Zidanza. Er war der einzige Knochenschnitzer in dieser Gasse. Dort gibt es nichts mehr abzuholen, und niemand wird dir die Münzen deines Bruders zurückgeben. Du hast kein Glück, schöner Fremder. Aber ich könnte dir helfen.«
Talawain hörte kaum noch hin. Die Erinnerung an Rowayn beherrschte seine Gedanken. Fast hörte er dessen ausgelassenes Lachen. Er war so sorglos und fröhlich gewesen! Was war nur geschehen? »Wie ist er gestorben?«
»Wenn du Geschichtenerzähler suchst, Fremder, dann geh zum Kornmarkt, da lungern immer welche herum. Ich führe einen Laden.«
Hilflos blickte Talawain auf die Auslage. Mit diesem Plunder konnte er nichts anfangen.
»Das hier ist genau das, was du brauchst«, erklärte die Verkäuferin nun wieder lächelnd und nahm einen kleinen Lederbeutel, der von einer geflochtenen, roten Schnur hing, aus der Auslage und drückte ihn Talawain in die Hand.
»Was ist das?« Er spürte etwas Weiches in dem Beutel.
»Einer der mächtigsten Glücksbringer, den du in der Stadt bekommen kannst. Er hilft auch gegen Zahnfäule, Gicht, das Frühlingsfieber und Schmerzen im Wochenbett.« Ihre Stimme sank zu einem Flüstern. »In dem Beutel ist Erde, auf die die Göttin Išta ihren Fuß gesetzt hat. Heiliger Boden! Streust du diese Erde über einen Acker, wird er im nächsten Jahr doppelt so viele Früchte tragen. Nur die Asche einer Braut der Himmlischen Hochzeit, die verbrannt wird, weil sie unfruchtbar blieb, besitzt noch mehr Zaubermacht.«
Talawain traute seinen Ohren nicht. Dieses Säckchen Dreck sollte Glück bringen? »Und wo werden diese Prinzessinnen verbrannt?«
»Auf einem Feld vor dem Haus des Himmels.« Sie sah ihn misstrauisch an. »Kein normaler Sterblicher weiß, wo das ist. Das kann dir jedes Kind sagen. Von wo kommst du, Fremder, dass dir solche Dinge nicht bekannt sind.«
»Aus Aram.«
»Ach so …« Sie rollte mit ihren wunderschönen Augen, als sei damit alles erklärt, da alle Bewohner Arams entsetzliche Narren waren.
»Was kostet mich dieser Glücksbringer?«
Sie sah ihn abschätzend an. »Eine Silbermünze«, sagte sie schließlich.
Ihm war nicht nach Feilschen zumute. Er griff in seinen Geldbeutel und holte das abgehackte Ende eines Silberbarrens hervor. Ein Stück, das fast so lang und dick wie das oberste Glied seines kleinen Fingers war. »Das muss genügen«, sagte Talawain in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, dass er nicht weiter verhandeln würde.
Die Verkäuferin wog das Silberstück in der Hand. Dann nickte sie. »Du machst ein gutes Geschäft, Fremder aus Aram.«
Talawain ergriff ihre Hand, noch bevor sie das Silber in der Auslage verschwinden lassen konnte. »Und jetzt sagst du mir, was dem Knochenschnitzer geschehen ist. Wenn ich ohne eine gute Geschichte in mein Dorf zurückkehre, dann wird mein Bruder glauben, ich hätte nur sein Geld durchgebracht, statt meine Pflicht zu tun. Die Geschichte ist Teil unseres Geschäfts.«
»Es gibt Dinge, über die man besser nicht spricht, Fremder. Dunkle Dinge, die, wenn man mit Worten an ihnen rührt, noch weiter an Macht gewinnen und einem …«
Talawain hielt ihr mit der Linken den kleinen Lederbeutel hin. »Ich habe ja jetzt einen mächtigen Talisman. Also erzähle, mir wird schon nichts passieren!«
Sie blickte nervös die Gasse hinauf und dann zum Himmel, als fürchte sie, dass jeden Augenblick rächende Geister über sie herfallen könnten. »Zidanza hat die kleinen Götter erzürnt. Er hat immer nur Išta in Knochen geschnitzt. In großer Vollkommenheit! Seine Amulette und Reliefs und kleinen Statuen waren weit über die Grenzen unserer Stadt hinaus bekannt. Er konnte doppelt so viel für seine Arbeit verlangen wie andere Knochenschnitzer. Ein paar Tage vor seinem Tod kam ein reicher Karawanenführer aus Garagum und wollte eine Statue so groß wie seine Hand haben, die Russa, den Blitzeschleuderer, zeigt, einen Berggott aus seiner Heimat. Es gab einen lauten Streit in Zidanzas Werkstatt. Die Fenster standen offen, denn es war ein heißer Sommertag. Ohne zu lauschen, konnte ich bis hierher verstehen, was gesprochen wurde. Der Barbar bestand darauf, das Bildnis Russas zu bekommen. Er behauptete, der Gott selbst habe ihn geschickt, um eines der Wunderwerke des Meisters Zidanza zu holen, das in seinem Tempel einen Ehrenplatz
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