Drachenelfen
fleischliche Hülle finden und eine bessere Mutter, als sie es war.
Sie stieà ihren Sohn von sich. Träge trieb er im Wasser davon.
Lyvianne richtete sich auf. Der aufgewühlte Schlamm wogte in dunklen Wolken davon. Inmitten des Dunkels glitt ihr Sohn. Eine leichte Strömung zog ihn hinaus auf den See.
Die Flamingos standen still, ihre Köpfe im Gefieder vergraben. Sie hatten nicht bemerkt, dass der Tod zu ihrem See herabgestiegen war. Aus dem Wald drangen die vertrauten Geräusche der Nacht. Einige Zwerggazellen näherten sich zögerlich dem Ufer. Wachsam die Köpfe gereckt.
»Du wirst bei den Flamingos schlafen, wie ich es dir versprochen habe.« Die Worte kratzten wie Glas in Lyviannes Kehle. Sie musste an die kahlköpfigen Marabus denken. Sie würden ihn finden, und bei dem Gedanken wurde ihr übel. Sie würde die Aasfresser töten. Jetzt! Lyvianne flüsterte ein Wort der Macht. Sie unterwarf sich das magische Netz, das alles durchdrang. Sie konnte die groÃen Vögel in dem Baum am anderen Ufer spüren. Sie würde den See nicht durchwaten müssen. Sie konnte ihnen ihre Lebenskraft entziehen. Einem nach dem anderen.
Es würde völlig lautlos geschehen.
So lautlos, wie ihr Sohn gestorben war.
E IN GRAB IM HIMMEL
»Das hat noch niemand vor Euch getan, Erhabener.« Juba gab sich alle Mühe, diplomatisch und sachlich zu bleiben, aber ihm war deutlich anzumerken, dass ihm der Sinn nach drastischeren Worten stand.
Artax tat die Bemerkung mit einer lässigen Handbewegung ab. »Was heiÃt das schon?«
»Das heiÃt, dass es manche als eine Beleidigung auffassen könnten.«
Der Unsterbliche hielt inne und der ganze Tross, der ihm auf der weiten PrachtstraÃe folgte, kam mit etwas Verzögerung zum Stehen. Hier in der Goldenen Stadt hatte sich vieles verändert. Das Hofzeremoniell war erstickend! Nie konnte er sich frei bewegen. Immer umgaben ihn Priester, Leibwächter, Bittsteller, Würdenträger, Konkubinen, Sklaven, Vorkoster ⦠Ein ganzes Heer war ständig um ihn herum und alle Augen ruhten nur auf ihm. Er konnte nicht einmal furzen, ohne dass Schmeichler und Ohrenbläser zu tuscheln begannen.
In Ruhe zu furzen ist wahrlich von Bedeutung. Tu es doch einfach, du Bauer.
Halt dich aus meinen Gedanken heraus, du ⦠du Mörder.
Auch du hast gemordet, du heuchlerischer Philanthrop. Du hättest die Krieger aus Ischkuza auch kampfunfähig machen können, ohne sie zu töten. Aber es ist ein ganz besonderes Gefühl, Leben auszulöschen. Es kann besser sein als eine gute Liebesnacht. Und du willst es wieder tun, nicht wahr? Weshalb sonst übst du dich jeden Tag im Kampf? Hinter all deinem edlen Getue bist auch du eine mordende Bestie. So wie wir alle. Seit diesem Kampf keimt in uns die Hoffnung, dass eine Zeit kommen wird, in der wir uns sehr gut verstehen werden.
»Erhabener? Soll ich dem Gefolge befehlen, zum Palast zurückzukehren? Habt Ihr Euch besonnen?«, fragte Juba.
»Nein!« Er war einfach stehen geblieben. »Los, weiter!«, rief er so laut, dass es jeder in seinem Tross hören konnte. Er würde noch verrückt werden. Ständig wurde er nach irgendetwas gefragt, sollte
Urteile fällen in Streitigkeiten zwischen Provinzfürsten, die zu Kleinkriegen innerhalb seines Reiches zu eskalieren drohten, Erbfolgeauseinandersetzungen des Adels schlichten, Kindern hochgeborener Hofschranzen über den Kopf streicheln, weil sie das angeblich vor Krankheiten schützte. Todesurteile bestätigen, Kornpreise festsetzen und sich entscheiden, welches von drei neuen Gewändern er zum abendlichen Festschmaus tragen wollte. Immer wollte irgendjemand etwas von ihm. Drei Tage war er nun schon im Palast, und noch immer war er nicht dazu gekommen, die Elfe im Weltenmund beisetzen zu lassen. Und dann noch dieser Aaron! Kaum eine Stunde verging, in der er sich nicht wünschte, wieder zurück in seinem Stall zu sein. Die Tür zu schlieÃen, das Gesicht in dem warmen, staubigen Fell der Ziege zu verbergen und später vielleicht in der Dorfschenke einen sauren, aber billigen Wein zu trinken. Ein paar ruhige Worte mit Ashot, Tigran und Narek zu wechseln. Bauern mit demselben Leben und denselben Träumen wie er. Er dachte an die herrliche Stille auf seinem Hof bei Nacht, das Leben, so einfach in seinen Anforderungen, die Zukunft so klar umrissen. Erst die Arbeit, dann das Weib, Kinder
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