DRACHENERDE - Die Trilogie
Schlafenden die Schwertspitze ins Herz rammte, erwachte Wiian Ko Jharan. Er riss die Augen auf, wollte schreien, brachte aber nichts weiter als einen beinahe erleichtert klingenden Seufzer zustande, bevor er starb.
Früh am Morgen, noch bevor Rajin mit den Vorbereitungen für die Reise nach Kenda fertig war, wurde ihm der Tod von Wiian gemeldet, der den Kaiser eigentlich hatte begleiten und ihm bei der Suche nach dem Bleichen Einsiedler hatte helfen sollen.
Es war Lord Drachenmeister Tong persönlich, der Rajin die erschreckende Nachricht überbrachte. „Man ermordet bereits diejenigen, die Euch in Treue ergeben sind, o Kaiser“, sagte er. „Das ist ein schlimmes Zeichen.“
Rajin sah den Lord Drachenmeister einige Augenblicke lang nachdenklich an. Jetzt kann mich Wiian nicht mehr nach Kenda begleiten, ging es dem Herrscher des Drachenlands durch den Kopf. Vielleicht war es genau das, was meine Gegner beabsichtigten. Ein Grund mehr, den Dingen auf den Grund zu gehen!
„Man bringe mich dorthin, an dem der Tote aufgefunden wurde!“, verlangte Rajin, und dabei ballte sich ohne sein Zutun seine Metallhand zur Faust.
„Wiian liegt in seinem Bett“, erklärte Tong. „Dort hat man ihn ermordet.“
Wenig später führte man Rajin in das Gemach des Ermordeten. Dessen Augen waren weit aufgerissen, ihr Blick erstarrt. Wiian hatte seinen Mörder noch zu Gesicht bekommen, kurz bevor ihm die Klinge des Meuchlers genau ins Herz gedrungen war.
Rajin ließ den Blick schweifen, während ihm der Lord Drachenmeister versicherte, dass man alles tun werde, um den Attentäter zu fassen und die Sicherheit im Palast wieder herzustellen. Rajin hörte ihm kaum zu. Schließlich bat er ihn, den Raum zu verlassen.
Kaum war Rajin allein mit dem Toten, erschien an der Westwand des Gemachs ein Schriftzeichen. Es sah aus wie angerußt, und Rajin war sich sicher, dass es noch wenige Augenblicke zuvor nicht dort gewesen war.
Oder ich habe es nicht sehen können, ging es dem jungen Kaiser durch den Kopf.
Ein Schauder erfasste ihn. Das Zeichen war eine Ligatur aus dem Symbol für die Zahl Sechs und einem alten, inzwischen verbotenen Zeichen, das die Insel Qô symbolisierte und zu Zeiten Kaisers Onjin in Gebrauch gewesen war.
Wusste ich’s doch, durchfuhr es Rajin grimmig.
3. Kapitel
Schattenfechterei
Wie ein Symbol, das an die Vergänglichkeit aller Existenz erinnern sollte, stand der Schneemond am nächtlichen Himmel. Größer als je zuvor überstrahlte er sogar die meisten Sterne. Selbst seine vier Brudermonde wirkten blass und seltsam farblos in dieser Nacht, während das grelle Weiß des Schneemonds so hell war wie selten zuvor. Zudem war er von einer Aura umgeben, die ihn noch größer und mächtiger erscheinen ließ. Nicht nur die drachenischen Wetterkundigen wussten, dass diese Aura Regen ankündigte.
Wer auch immer in dieser Nacht zum Himmel emporsah und die Kette der fünf Monde betrachtete, musste den Eindruck gewinnen, dass sich der weiße Gigant zwar langsam, aber unaufhaltsam der Welt näherte und in Kürze alles Lebendige unter sich begraben würde, so wie es in den Prophezeiungen der unterschiedlichen Völker und Kulte geschrieben stand.
Die Schreie hungriger Drachen durchdrangen die Nacht. Sie schallten von den Drachenpferchen bis in die vornehmsten Gemächer des Palastes, und selbst in so manchem unterirdischen Gewölbe konnte man sie noch hören. Seit sich Drachenia mit dem Seereich im Kriegszustand befand, erreichten keine Schiffe mit getrocknetem Stockseemammutfleisch die Städte an der Küste des drachenischen Neulands. Immer knapper waren die Rationen geworden, die in den vergangenen Monaten den Drachen zugeteilt werden konnten, und das gefiel den urtümlichen Riesenechsen natürlich nicht. Sowohl die gewaltigen Transportdrachen als auch die Lastdrachen für Kurzstreckentransporte und die Kriegsdrachen der kaiserlichen Armada waren davon betroffen. Zwar genossen die Drachen der Kriegsarmada eine bevorzugte Versorgung, aber allzu weit durfte diese Begünstigung nicht gehen, denn andernfalls würden die Transportdrachen früher oder später rebellieren. Und obwohl mit Rajin zum ersten Mal seit Jahren wieder ein Kaiser auf dem Thron saß, dem die Macht aller drei Drachenringe zur Verfügung stand, wäre es in einem solchen Fall sehr schwer geworden, die gerade erst wieder unter die kaiserliche Herrschaft gezwungene Drachenheit zu befrieden.
Drachen - ganz gleich ob Gondel-, Transport- oder
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