DRACHENERDE - Die Trilogie
Der Glaube an den Gott der Kälte ist in den südlicheren Teilen des Seereichs nicht so ausgeprägt, fürchte ich, weil man dort seine Macht weniger zu spüren bekommt.“
„Dort befindet sich jedenfalls auch ein solcher Felsen. Und auch er ist Teil eines kosmischen Tors, so wie dieser.“
„Alle Völker und Geschöpfe sind irgendwann durch diese Tore in die Welt gekommen“, stellte Ganjon fest. „Also muss das Wissen darüber, wie man sie benutzt, einst weiter verbreitet gewesen sein, als das heutzutage der Fall ist.“
„Schade, dass es verloren ging“, meinte Koraxxon. Der Dreiarmige zuckte mit seinen gewaltigen Schultern, wobei sich die Schulter des Axtarms etwas deutlicher hob als die andere Seite, wo Schwert- und Schildarm aus dem überaus kräftigen, von einer schuppigen Struktur überzogenen Oberkörper wuchsen. „Wir bräuchten dann das nahe Ende der Welt nicht zu fürchten, denn wir könnten die Drachenerde einfach verlassen. Aber wer weiß, vielleicht dauert es ja noch ein ganzes Jahrhundert, ehe der Schneemond aus dem Himmel stürzt und alles unter sich begräbt.“
Rajins Gedanken schweiften unterdessen ab. Er hatte den Name Orik Wulfgarssohn schon einmal vernommen. Das war der Bruder von Wulfgar Wulfgarssohn, bei dem er aufgewachsen war. Orik hatte sich vor langer Zeit – noch bevor Rajin als Säugling in der Nähe von Winterborg ausgesetzt wurde – mit den Seemannen von Winterborg und dem Rest seiner Familie zerstritten, sodass er mit seinen Gefolgsleuten die Küste entlanggezogen war und irgendwo anders eine neue Niederlassung gegründet hatte. Der Kontakt zu Orik und seinen Leuten war nur spärlich gewesen. Zumeist hatte er nur dann stattgefunden, wenn sich Schiffe beider Familienteile weit genug einander genähert hatten, um sich gegenseitig etwas zuzurufen.
Schmerzlich wurde Rajin an die Zeit erinnert, die er im Nachhinein als die glücklichste seines Lebens ansah. Bjonn Dunkelhaar war glücklich – Rajin hingegen ist es wohl nicht bestimmt, jemals glücklich sein zu dürfen, ging es dem jungen Kaiser durch den Kopf, dann versuchte er sich wieder auf die Gegenwart zu konzentrieren. Er war schließlich hier, um den Bleichen Einsiedler zu finden, der ihm im Kampf gegen die Vergessenen Schatten beistehen sollte.
Rajin setzte seine innere Kraft ein, um den Aufenthaltsort dieser seltsamen, mysteriösen Gestalt ausfindig zu machen. Schließlich hatte er in der Kathedrale des Heiligen Sheloo bereits ein paar Seelen- und Gedankenreste dieses Wesens zu erspüren vermocht.
„Du glaubst, es könnte bei dir funktionieren wie bei einem Hund, wenn er Witterung aufgenommen hat?“, fragte die Gedankenstimme der Metallhand spöttisch.
Es scheint nichts mehr zu geben, was ich vor dir zu verbergen vermag, dachte Rajin verärgert.
„Und das bedauert Ihr, o Kaiser?“
Rajin brach das innere Zwiegespräch mit der Metallhand ab und suchte mithilfe der inneren Kraft weiter nach dem Bleichen Einsiedler. Er sah dessen blasses Gesicht vor sich und konnte es sich so gut vorstellen, als wäre er ihm bereits dutzendfach persönlich begegnet. Mit einem sehr intensiven Gedanken übertrug er dieses Bild auch an die beiden Drachen.
Sucht!, dachte er auf eine so fordernde Weise, dass Ayyaam, der ungefähr hundert Schritt entfernt dahinflog, einen gurgelnden Laut ausstieß, den man als Ausdruck des Erstaunens deuten konnte.
Rajin ließ Ghuurrhaan mehrmals den schwarzen Felsen umkreisen. Ayyaam hingegen schickte er fort. Fast eine halbe Meile entfernte sich der ehemalige Wilddrache, flog sehr niedrig über ein Waldstück und stieg dann über einer Wiese urplötzlich und fast senkrecht in die Höhe.
Das Gelände im näheren Umkreis des schwarzen Felsens war recht übersichtlich. So konnte Rajin sehr bald ausschließen, dass sich dort überhaupt irgendjemand aufhielt. Schwärme wilder Zweikopfkrähen zogen in der Ferne ebenso suchend ihre Bahnen wie einige Rabengeier. Aber das große Fressen, das in der Umgebung des schwarzen Felsens stattgefunden haben musste, nachdem die giftigen Dämpfe des Glutreichs so viel Leben dahingerafft hatten, war längst vorbei, und dem Festmahl der Aasfresser, die sich hoch genug hatten erheben können, um sich vor den üblen Gasen in Sicherheit zu bringen, war der große Hungern gefolgt. Nachdem das verwesende Fleisch von den Knochen all der verendeten Geschöpfe genagt worden war, gab es kaum noch genug Beute für die Überlebenden, sodass man hin und wieder beobachten konnte,
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