DRACHENERDE - Die Trilogie
habt nicht die Dauer eines Herzschlags zu verlieren, wenn ich Euch richtig verstanden habe.“
„Vielleicht aber ist Eure Zeit begrenzter, als Ihr mir weiszumachen versucht“, hielt Rajin dagegen – doch es war wieder nicht er selbst, der in diesem Augenblick die Lippen bewegte, sondern das Wesen seiner Metallhand, und sein Tonfall hatte sich dabei so deutlich verändert, dass Branagorn stutzte.
„Was wollt Ihr damit sagen?“
„Schaut Ihr denn in der Nacht nie zum Himmel, Branagorn?“
„An Eure mondhellen Nächte werde ich mich nie gewöhnen, und den Anblick des einzigen Mondes, der am Nachthimmel meiner Heimatwelt steht, vermisse ich wie kaum etwas anderes.“
„Ihr solltet nicht so tun, als hätte sich ein so weiser Mann, wie Ihr es zweifellos seid, noch nie Gedanken darüber gemacht, dass der Schneemond auf monströse Größe anwächst. In nicht allzu ferner Zukunft wird er uns alle erschlagen, wenn man den Weissagungen Glauben schenken mag.“
Branagorn schwieg einen Augenblick.
Dann vernahmen er und der junge Kaiser einen dumpfen, stöhnenden Laut, den der am Boden liegende Krieger ausstieß, der allen bisher nur als der Unsichtbare Tod bekannt war. Ein Laut, der Branagorn bedeutete, dass wohl tatsächlich Eile geboten war. So ging er auf die Worte Rajins nicht weiter ein.
„Glaub mir, er wird uns helfen“, meldete sich unterdessen die Gedankenstimme aus Rajins Metallhand.
Uns?, echote es in Rajins Kopf, und er machte dabei gar nicht erst den Versuch, seine Überraschung vor den Seelenresten des ehemaligen Großmeisters von Magus zu verbergen, wusste er doch, dass dies sinnlos war.
„Was dir hilft, wird auch mir helfen“, antwortete die Gedankenstimme. „Sind wir nicht dabei, ein Ganzes zu werden, so wie ich aus den Teilen einer zertrümmerten Seele und eines zerstörten Geistes entstanden bin und zu etwas wurde, das mehr ist als die Summe dieser Einzelteile?“
Ich kann nicht sagen, dass mir diese Aussicht gefällt, gestand Rajin lautlos.
„Du fürchtest nur das Unbekannte.“
Nein, das ist sicher nicht der Grund, widersprach Rajin mit einem sehr entschiedenen Gedanken.
6. Kapitel
Branagorn der Zauberkundige
Der Unsichtbare Tod bewegte sich leicht. Der Lichtflor, der ihn umhüllte, wurde wieder heller geworden und deutlich sichtbar. Gleichzeitig schien sein Körper an Substanz zu verlieren und wurde an manchen Stellen durchscheinend. Gleiches geschah mit seinen Waffen. Ehe sich der fremde und bis dahin überwiegend unsichtbare Krieger jedoch erheben konnte, berührte ihn Branagorn an der Schulter. Der Krieger stöhnte kurz auf und lag dann wieder so regungslos wie zuvor am Boden.
Branagorns Hand jedoch zuckte regelrecht zurück, und der Bleiche Einsiedler verzog das Gesicht wie unter großen Schmerzen. Er taumelte leicht und murmelte eine Formel vor sich hin, deren Wirkung offenbar nicht lange auf sich warten ließ, denn nur einen Augenblick später war er wieder in der Lage, das Ritual fortzusetzen.
Der Reihe nach griff er in die kreisförmig aufgestellten Krüge, nahm jeweils eine Handvoll einer staubartigen Substanz daraus und verstreute sie über den am Boden liegenden Krieger und seine Waffen. Die Staubteilchen senkten sich mit einer unnatürlichen Langsamkeit herab, was wohl an den Zauberkräften lag, die geweckt worden waren. Die Substanzen in den jeweiligen Krügen hatten je eine andere Farbe. Es gab leuchtendes Blau ebenso wie ein Rot, das dem Farbton des Blutmondes glich, und ein Schwarz, das Rajin so dunkel schien wie die Schatten, die ihn schon zum wiederholten Mal angegriffen hatten.
Wenn die herabsinkenden Staubteilchen auf den bewusstlosen Krieger oder seine Waffen trafen, blitzte es grell auf und zischte.
Nachdem der Bleiche Einsiedler aus jedem seiner Krüge Staub auf den Fremden und seine Waffen hatte rieseln lassen, stellte er sich mit ausgebreiteten Armen vor den Kopf des Kriegers und rief mit dröhnender Stimme eine Beschwörungsformel. Rajin hatte Branagorn diese stimmliche Gewalt kaum zugetraut und zuckte regelrecht zusammen. Zugleich verwunderte es ihn, dass er mit seiner eigenen inneren Kraft nichts von dieser Zauberei und den Kräften, den diese freisetzte, wahrzunehmen vermochte. Es war, als wäre dieser besondere Sinn in ihm, den Liisho so intensiv geschult hatte, auf einmal taub geworden. Die Kräfte, die Branagorn beschwor, waren wohl einfach zu fremdartig für einen Nachfahren Barajans.
Das Ritual endete mit einer grellen Lichterscheinung,
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