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DRACHENERDE - Die Trilogie

DRACHENERDE - Die Trilogie

Titel: DRACHENERDE - Die Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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unwillkürlich an die ungezählten Gebete denken, die er in seiner Jugend auf Winterland an den Meeresgott gerichtet hatte. Gebete für das Wohlergehen der toten Seelen, die der nasse Njordir bei sich aufgenommen hatte, Gebete für eine reiche Seemammutbeute und günstige Winde und einen milden Winter. Oft genug hatte sein Ziehvater Wulfgar Wulfgarssohn die überlieferten Formeln für die ganze Sippe gesprochen, und dann hatten alle Clanmitglieder mit bangem Herzen gehofft, dass Njordir ihnen beistehen würde und vor allem seinen immerwährenden Kampf gegen Fjendur, den Gott der eisigen Kälte, wie sie das ganze Jahr über im Inneren Winterlands herrschte, nicht aufgab.
    Die auf der spiegelglatten See abgebildete Gestalt hob sich auf einmal aus den Fluten, wobei sich der fischäugige Krieger aus dem Meerwasser formte und viele Masthöhen weit emporwuchs. Riesenhaft stand er da und blickte auf die kleine Gruppe herab, die auf dem Drachenrücken dahintrieb.
    Selbst Ghuurrhaan war ziemlich eingeschüchtert. Der ehemalige Wilddrache hielt den Kopf gesenkt und schnaufte nur verhalten, hielt zwischendurch sogar immer wieder den Atem an; nicht einmal Rauch oder Schwefeldampf drangen aus seinen Nüstern, geschweige denn ein wenn auch noch so kleiner Feuerstoß.
    „Anscheinend sind in dieser Welt die Heidengötzen die wahrhaft Mächtigen!“, entfuhr es Erich von Belden, und nachdem er sich vom ersten Schrecken erholt hatte, wandte er sich an Branagorn und sagte: „Gegen diese Hexerei verblasst selbst das Zauberwerk von Euresgleichen, meint Ihr nicht auch?“
    „Es macht wohl wenig Sinn, dies leugnen zu wollen“, gestand Branagorn.
    Ganjon war vollkommen gebannt vom Anblick des höchsten Gottes seiner ursprünglichen Heimat. Lange Zeit hatte auch er den unsichtbaren, allgegenwärtigen Gott verehrt, der in Drachenia und Tajima angebetet wurde, doch auf einmal erschien ihm der Gedanke völlig absurd, etwas nicht Sichtbares könnte größere Macht haben als der Herr des Meeres, nahm er die Gestalt eines fischäugigen Kriegers an. Wie hatte er nur jemals an dem Glauben seinen Vorfahren zweifeln können, in den er hineingeboren worden war?
    Rajin war in dieser Hinsicht weit weniger ehrfürchtig als vielmehr verwirrt. „Ich danke dir für deine Hilfe!“, rief er. „Wir waren in höchster Bedrängnis, doch dein Eingreifen hat uns gerettet. Andernfalls hätten wir unseren Feinden nicht entkommen können, das ist gewiss.“
    Ein dröhnendes Lachen antwortete ihn, und das Gesicht mit den Fischaugen verzog sich zu einer spöttischen Grimasse. Rajin empfand diesen Ausdruck als eines Gottes unwürdig, obwohl er nicht zu erklären vermocht hätte, wie er auf diesen Gedanken kam. Wahrscheinlich war er unbewusst der Ansicht, dass es einem Gott nicht zustand, sich über Sterblichen lustig zu machen, die ihr Leben unter Mühsam und Entbehrungen zu meistern hatten.
    „Nichts geschieht ohne Grund“, erwiderte die dröhnende Stimme des Meergottes. „Alles hat seine Ursache und seine Folgen, und jede Weggabelung der Zeit erzeugt ein eigenes Flussbett für den Strom des Schicksals ...“
    Die Stimme schallte nun nicht mehr ganz so heftig in Rajins Kopf und malträtierte auch nicht mehr seine Trommelfelle. Für Branagorn schien sie allerdings nach wie vor schier unerträglich, mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt er sich die Ohren zu. Njordir ließ das allerdings ungerührt.
    „Sieh, was geschieht und unabänderlich scheint“, sagte Njordir und deutete mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand auf das schwarze Wasser zu seinen Füßen. Ein Blitz zuckte aus der Fingerspitze und fuhr in die spiegelglatte Schwärze. Dort entstanden daraufhin bewegte Bilder, die sich in rascher Folge ablösten. Die Perlenkette der fünf Monde zog über den Himmel, und der Schneemond blähte sich auf und stürzte herab. Seine Kräfte rissen Berge, Städte und das Wasser von Flüssen empor; das Meer verwandelte sich in einen dichten Regen, der in die Höhe schoss. Dann verging alles in einer Feuersbrunst aus Flammen und schmelzendem Gestein. Die Welt schien sich in einen zähflüssigen glühenden Brei zu verwandeln, während die Ozeane verdampften.
    „Es droht ein Chaos, wie es die Welt seit dem Ende des Ersten Äons nicht mehr gesehen hat“, sagte Njordir. „Ein Chaos, so groß und gewaltig, dass es selbst das Ende der Götter bedeutet.“ Die Bilder, die in der Schwärze des vollkommen glatten Wassers erschienen, zeigten nun, wie die anderen Monde entweder

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