DRACHENERDE - Die Trilogie
verbringen ...“
„Wieso nicht?“, fragte Rajin mit für ihn untypischer Strenge, denn er erkannte, dass ihm der Fürst etwas verschwiegen hatte. „Ihr regiert nur von meinen Gnaden, und es bedürfte eines Federstrichs von mir, Euch gegen jemanden auszutauschen, der bereit ist, sich meinem Willen zu fügen!“
„Daran braucht Ihr mich nicht zu erinnern, o Kaiser“, dienerte Haljan. „In den Jahren, die ich unter Eurem Vorgänger Katagi in diesen Mauern residierte, ist mir dies mehr als einmal überdeutlich vor Augen geführt worden. Und falls Ihr nun an meiner Stelle jemand anderen zu setzten wünscht, so würde ich dies ohne zu klagen akzeptieren. Aber dennoch fühle ich mich verpflichtet, Euch zu warnen.“
„Warnen?“, fragte Rajin. „Wovor? Dass ein neuer Mondsturm uns in der nächsten Nacht alle miteinander von dannen reißt? Das ist mir bereits einmal um ein Haar geschehen.“ Rajin hob die Metallhand mit den Drachenringen, bevor er fortfuhr: „Mir ist bewusst, dass ich allenfalls über die Drachenheit, nicht aber über die Fünfheit der Monde gebiete; selbst ich vermag es nicht, mich gegen ihre Kräfte zu stellen. Doch davor fürchte ich mich nicht. Wenn der Schneemond seine Spur der Verwüstung mit meinem Weg kreuzt, so mag das eben mein Schicksal sein.“
„Es gibt noch eine andere Bedrohung“, erklärte Haljan jedoch nach kurzem Zögern, und er wirkte sehr bekümmert. „Sie tauchte in derselben Nacht auf, als der Schneemond mächtige Wellen mit vernichtender Wüt in unsere Stadt trieb und unseren Seehafen zerstörte, sodass es jetzt in ganz Nangkor nicht mehr eine einzige seetüchtige Dschunke, ja, noch nicht mal ein intaktes Fischerboot gibt.“
Rajin runzelte die Stirn. „Von was für einer Gefahr redet Ihr?“, verlangte er zu wissen und fragte sich zugleich, weshalb der Fürst von Nangkor damit bisher hinter dem Berg gehalten hatte, anstatt sich frei zu äußern. Aber irgendetwas schien Haljan daran zu hindern. Ja, es war ihm geradezu peinlich, erkannte Rajin. Haljan war zwar bemüht, die Scham, die er empfand, nicht nach außen dringen zu lassen, aber Rajin bemerkte sie doch.
Plötzlich hatte der junge Kaiser einen bösen Verdacht, was es war, das Fürst Haljan so sehr belastete, und diese Ahnung ging einher mit einem drückenden Gefühl in seiner Magengegend, das Rajin befiel ...
„In jener Nacht, als der Sturm unseren Hafen verwüstete, tauchten sie das erste Mal auf“, berichtete Haljan mit zitternder Stimme. „Unsere Drachenreiter stellten sich ihnen tapfer entgegen. Es sind uns kaum Kämpfer und Kriegsdrachen geblieben ...“
Rajin ballte grimmig die Metallhand zur Faust. „Bei der Unsichtbarkeit des einzig wahren Gottes und den Geboten des Propheten Masoo – wovon sprecht Ihr?“, herrschte er den Fürsten an, dessen Gesicht fast so bleich geworden war wie das Branagorns.
„Wir wissen es nicht sicher, o Kaiser, aber es scheinen die Vergessenen Schatten zu sein, die sich über das Meer begeben haben, um uns für unsere Sünden zu bestrafen. Ihr mögt Euch stärken und Eurem Drachen eine kurze Pause gönnen. Aber dann brecht so schnell wie möglich wieder auf, damit der Kaiser Drachenias kein Opfer dieser grausamen Rachegeister wird!“
„Wer behauptet, dass es sich um die Vergessenen Schatten handelt?“, fragte Rajin.
„Die Priester sagen es. Und die Menschen beten, dass die Schatten sie nicht dahinraffen; dann soll lieber der Schneemond auf sie herabfallen.“
Rajin überlegte kurz, während die Blicke aller auf ihn gerichtet waren. „Ein Kaiser sollte vor den Schatten der Vergangenheit nicht die Flucht ergreifen“, erklärte er schließlich. „Mag sein, dass meine Vorfahren und Vorgänger das taten, aber ich werde mich ihnen stellen. Das hatte ich ohnehin vor, warum also nicht hier?“
Fürst Haljan schluckte schwer. „Ihr wisst nicht, was Ihr da sagt, Herr“, flüsterte er. „Und Ihr ahnt nicht, was Euch vielleicht erwartet.“
„O doch“, murmelte Rajin, „das weiß ich vielleicht besser als jeder andere …“
In diesem Moment meldete sich die Gedankenstimme seiner Metallhand bei ihm: „Wahrscheinlich suchen die Vergessenen Schatten diesen Ort sogar deinetwegen heim, junger Kaiser. Du wolltest dich ihnen stellen. Jetzt stellen sie sich dir!“
Von Nangkor aus waren vor vielen Zeitaltern die Verbände der Kriegsdrachenarmada aufgebrochen, um die Rebellion auf Qô blutig niederzuschlagen. So verwunderte es nicht, dass es ausgerechnet
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