DRACHENERDE - Die Trilogie
der letzen Nacht weit entfernt getobt hatten; doch zweifellos hatten sie Auswirkungen auf das Wetter selbst in den abgelegensten Regionen der Welt. Jedenfalls konnte sich Rajin den kalten Wind anders nicht erklären, der vollkommen untypisch war für das eigentlich eher feuchtheiße Klima, das auf der Insel der Vergessenen Schatten herrschte.
Mächtige Wellen brachen sich am schwarzen Felsen und an den Klippen, die an der Küste aufragten. Der Felsen war von gleicher Art wie jener, der eine Meile von der Kathedrale des Heiligen Sheloo bei Kenda entfernt auf der altländischen Halbinsel zu finden war, und er glich auch dem Stein inmitten der Kalten Senke Winterlands. Alle drei gehörten sie zu den uralten kosmischen Toren, durch die der Überlieferung nach alles Lebendige auf diese Welt gekommen war, angefangen von den Drachen über die Magier bis hin zu den Menschen.
Vielleicht ist nun tatsächlich der Zeitpunkt gekommen, da all diese Völker die Welt auf demselben Weg wieder verlassen, auf dem sie hergekommen sind, ging es Rajin durch den Kopf.
Das Wesen in der Metallhand äußerte sich nicht dazu. Es enthielt sich jeglichen Kommentars, was vielleicht daran lag, dass es genug damit zu tun hatte, die Bestandteile seines Selbst wieder zu einem Ganzen zu fügen und diesem genug innere Stabilität zu verleihen, dass es beim nächste Mal dem schlingernden Schneemond und seinen mörderischen Kräften standhalten konnte.
Ghuurrhaan hingegen schien von einer geradezu fieberhaften Erregung befallen, seit sie sich in der Nähe der Insel Qô befanden. Rajin konnte deutlich spüren, dass etwas sehr Kraftvolles, Mächtiges in der Seele des Drachen vor sich ging. Doch ob es wirklich nur die Freude darüber war, eine Welt zu besuchen, die für Ghuurrhaan immerhin eine Art Heimat war, hätte Rajin nicht zu sagen gewusst; so tief vermochte selbst er nicht in das Innere eines Drachen einzudringen und dessen Seelenregungen zu erfassen. Offenbar waren Menschen und Drachen doch sehr verschiedene Wesen. Die gemeinsame Basis, auf der sie sich verständigten, war sehr schmal und beruhte letztlich auf Gehorsam – und auf dem vor Äonen ausgesprochenen Bann des abtrünnigen Magiers Barajan, der gleichermaßen das Kaiserhaus und die Drachenherrschaft eines Menschenreichs begründet hatte.
Rajin veranlasste Ghuurrhaan genau auf der Steinkanzel an der Steilküste zu landen, die schon zuvor, als der Weise Liisho den Prinzen vor den Häschern des Usurpators Katagi auf der Insel versteckt hatte, ein bevorzugter Drachenlandeplatz gewesen war. Mit allen vier Pranken zugleich setzte der Drache auf, so sanft, wie nur die allerbesten ausgebildeten Reitdrachen landen konnten. Doch die Erregung, die ihn schon beim Anflug erfasst hatte, brach sich nun in einem dröhnenden Ruf Bahn.
Du erinnerst dich an die Zeit, die wir hier verbracht haben, dachte Rajin. An die unbeschwerten Fischjagden. Vielleicht sogar an den Moment, da ich dich am Oststrand der Insel unter meinen Willen zwang und zu meinem Reitdrachen machte ...
Rajin stieg vom Rücken des Drachen, und die anderen folgten seinem Beispiel.
„Liisho hat einen gewissen Bereich mithilfe eines magischen Banns vor den Vergessenen Schatten geschützt“, wandte sich der Kaiser an Branagorn.
„Wie lange ist es her, dass Ihr zuletzt in diesen Ruinen wahrt?“, erkundigte der sich, während er die Nasenflügel auf eigenartige Weise blähte und den Kopf dabei ruckartig bewegte. Dann legte er die linke Hand hinters Ohr, so als lauschte er angestrengt und versuchte irgendetwas ganz genau zu hören, was sich in großer Entfernung abspielen mochte. Eine tiefe Furche erschien auf seinem Gesicht.
„Gut zwei Jahre“, antwortete Rajin indes. „Der Weise Liisho brachte mich her, und wir verbargen uns hier vor den Schergen Katagis. Liisho rechnete wohl mit der Feigheit unserer Feinde, und er sollte recht behalten: Es hat sich nie jemand hergetraut, um uns zu fangen.“
Branagorn sog die schwere, von Feuchtigkeit gesättigte Luft in sich ein. Dabei schloss er für wenige Momente die Augen. „Ich spüre die Macht des Banns noch sehr genau“, murmelte er. „Auch wenn er in der Zwischenzeit schwächer geworden sein mag.“ Er sah Rajin an und erklärte: „Er hat diese Art der Bannung übrigens einst von mir gelernt. Die Natur jener Kräfte, derer er sich dafür bedient hat, erkenne ich sofort.“ Er kniete nieder, berührte den Boden und schloss abermals die Augen. Nachdem er sie wieder geöffnet hatte,
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