DRACHENERDE - Die Trilogie
Belden“, erklärte Rajin in einem entschlossenen und fast feierlich klingenden Tonfall. „Niemand hat bisher einen Vergessenen Schatten so wirksam bekämpft, wie ich es soeben bei Euch gesehen habe. Wenn wir auf Qô angelangt sind, solltet Ihr dies wiederholen, dann werden wir bald keinen Ärger mehr mit den Schatten der Vergangenheit haben.“
„Ich will Euch gern helfen“, beteuerte Erich nach einer kurzen Pause, in der der Ritter sehr nachdenklich gewirkt hatte. „Was ich Euch versprochen habe, gilt weiterhin.“
Branagorn sah den jungen Kaiser sehr ernst an und sagte: „Ihr beschreitet den falschen Pfad, wenn Ihr die Vergessenen Schatten von anderen bekämpfen lasst. Ich kann sie vertreiben, und es mag sein, dass der Unsichtbare Tod diese Schattenwesen, die Euch nach dem Leben trachten, sogar vernichten kann. Aber letztlich werdet Ihr Euch diesen Kreaturen selbst stellen müssen. Daran führt kein Weg vorbei, denn selbst die Kräfte Erich von Beldens werden nicht ausreichen, um Euch und das Drachenland auf Dauer vor ihnen zu schützen.“
Rajin erwiderte Branagorns Blick. Was immer man ansonsten über den Bleichen Einsiedler und seine in Jahrhunderten gewonnenen Einsichten denken mochte, so hatten sich seine Prophezeiungen bisher stets als zutreffend erwiesen. Die Erfahrung all der Zeitalter, die er allein schon in dieser Welt existierte, erhob ihn über alle anderen Weisen und Ratgeber.
„Vielleicht habt Ihr recht“, sagte Rajin. „Allerdings wäre ich im Moment schon dankbar, würden die Angriffe der Schatten Drachenia und mich nur eine Weile verschonen.“
„Eine Weile ... Ja, so dachte auch Kaiser Onjin seinerzeit, als ich ihm half, die Schatten aus seinem Palast zu verscheuchen. Eine Weile … Eigentlich meinte er damit die lächerlich kurze Zeit seines Lebens. Euresgleichen ist so kurzsichtig in seinen Entscheidungen. Ihr habt einen Horizont, der gerade vor Euren Fußspitzen beginnt und endet, und seid weder fähig noch willens, darüber hinauszublicken.“ Branagorn deutete auf das Meer hinaus. „Ich sagte Kaiser Onjin einst beinahe dieselben Worte, die ich Euch heute sage: Ihr selbst müsst Euch den Schatten stellen, denn nach Euch verlangen sie! Das, was Onjin und alle seine Nachfolger versäumten, werdet Ihr nachholen müssen. Vertraut mir und meinen Sinnen, die um so vieles ausgeprägter sind als die Euren. Rennt nicht blind und ohne zu begreifen, was Euch widerfährt, in Euer eigenes Verderben!“
Rajin antwortete nicht.
Ein eiskalter Wind wehte in Richtung des in dieser Nacht seltsam fahl wirkenden Schneemonds, der wie ein gefrorenes Gegenargument auf all das wirkte, was Branagorn gesagt hatte.
13. Kapitel
Die Zeichen von Qô
Im Morgengrauen verließen sie Nangkor und flogen nach Südosten – geradewegs auf die Insel der Vergessenen Schatten zu, wo man einst versucht hatte, ein sechstes Reich zu gründen und dafür von Kaiser Onjin so grausam bestraft worden war.
Der östliche Ozean war umso aufgewühlter, je weiter sie in südliche Breiten vordrangen. Zweifellos waren die Mondstürme dafür verantwortlich, die das Meer nicht mehr wirklich zur Ruhe kommen ließen. Schwärme von Zweikopfkrähen irrten über das Wasser. Sie flogen mal in diese und mal in jene Richtung, ohne dass dabei ein Ziel oder eine Absicht erkennbar waren. Jedenfalls waren sie nicht auf Fischjagd.
„Ihre Sinne richten sich unter anderem nach den Monden“, erklärte Branagorn. „Kein Wunder, dass einige der prophetischen Schriften, die das Ende des Fünften Äons behandeln, eine Verwirrung unter diesem Getier als Zeichen für den nahenden Untergang nennen.“
Zwischen Qô und der ostmeerländischen Küste gab es kein weiteres Eiland mehr – keinen Ort, an dem man hätte einen Drachen landen können –, und so konnten sie ihre Reise nicht ein weiteres Mal unterbrechen. Der Schneemond stand in der folgenden Nacht so ungewöhnlich weit im Süden, wie es Rajin noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte, nicht einmal in den langen Nächten auf dem weit im Norden gelegenen Winterland, von wo aus betrachtet der Schneemond schon immer weit im Süden seine Bahn gezogen hatte.
„Die Götter mögen sich vereinen und all jenen beistehen, die in dieser Nacht von den Stürmen heimgesucht werden“, murmelte Ganjon.
Am nächsten Morgen tauchte dann der schwarze Felsen im Meer vor ihnen auf, der vor der Küste der Insel Qô gelegen war.
Auch hier war die See aufgewühlt, obwohl die Mondstürme in
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