DRACHENERDE - Die Trilogie
Rajin erschauerte und die ganz gewiss stark genug war, um einen Drachenkaiser, der sich ihr stellte, innerlich völlig erstarren zu lassen – so wie es in Nangkor mit ihm geschehen war.
Einem der geflügelten Schatten gelang es sogar, bis auf eine knappe Masthöhe zum Plateau hinabzusinken, bevor ihn der unsichtbare Schirm, den Liisho dereinst errichtet hatte, wieder zurückprallen ließ. Der Schatten geriet ins Taumeln, seine Flugbewegungen wurden hektisch, und er wirbelte hilflos durch die Luft, eines der Glutschwerter in der Hand. Die Blitze, die bei seinem Aufprall auf die unsichtbare Schutzglocke entstanden waren, waren so grell, dass Rajin für einen Moment überhaupt nichts mehr sehen konnte.
Branagorn hatte recht, der Bann ließ nach. Je öfter die geflügelten Schatten versuchten, auf das Plateau zu gelangen, desto schwächer wurde der Schutz, mit dem Liisho einst diesen Ort versehen hatte.
„Hört mich an!“, rief Rajin den geflügelten Schatten zu. „Ich trage keine Schuld an dem, was mein Vorfahre Onjin euch angetan hat!“
Der Chor der Schatten veränderte sich, das Wehklagen wurde zu einem höhnischen Gelächter, das Rajin mit beinahe unerträglicher Eindringlichkeit im Kopf widerhallte, so als würde es geradewegs in seine Gedanke hämmern.
In diesem Moment wurde es merklich dunkler. Ein gewaltiger Schatten erfasste die gesamte Insel und das umliegende Meer, und innerhalb von Augenblicken erreichte der mächtige Schatten sogar den schwarzen Felsen vor der Küste. Auch kälter wurde es, während sich eine pechschwarze Scheibe vor die Sonne schob.
„Eine Sonnenfinsternis!“, entfuhr es Ganjon. „Das ist ein Zeichen der Götter!“
Das Gelächter der geflügelten Schatten verstummte. Sie schienen durch dieses Ereignis genauso überrascht zu sein wie der junge Kaiser und seine Begleiter. Rajin hatte in seiner Jugend mehrmals eine Sonnenfinsternis erlebt. Auf einer Welt, die von fünf Monden umkreist wurde, war es keine Seltenheit, dass einer von ihnen die Sonne so verdeckte, dass für eine Weile bestenfalls ein Lichtkranz von ihr zu sehen blieb.
Die Sternenseher von Seeborg berechneten eine solche Sonnenfinsternis über Jahrhunderte im Voraus, und viele Seemannen sahen in ihrem Auftreten Zeichen der Götter. Seemammutjagden und Hochzeiten wurden ebenso danach ausgerichtet wie die Feierlichkeiten zur Namensgebung. Je nachdem, welcher der fünf Monde gerade die Sonne verdeckte, hatte dieses Himmelszeichen eine völlig andere Bedeutung.
In Drachenia und Tajima hingegen sah man in einer Sonnenfinsternis vor allem eine Mahnung des Unsichtbaren Gottes zur Demut. Die Priesterschaft von Ezkor hatte schon vor Generationen den damaligen Kaiser zum Erlassen eines Gesetzes bewogen, nach dem das Vorausberechnen von Sonnenfinsternissen nach Art der seemannischen Sternenseher eine todeswürdige Sünde und Gotteslästerung war. Die Zeichen des Herrn sollten ein Geheimnis bleiben und als solche nicht vorhergesagt werden dürfen.
Die geflügelten Schatten entfernten sich etwas von jenem Bereich, der von Liishos Zauberbann geschützt wurde. Manche lösten sich sogar kurzzeitig zu schwarzem Rauch auf, um sich anschließend neu zusammenzufügen. Hier und dort waren auch wieder ihre Stimmen zu hören, die nun allerdings verwirrt und erschrocken klangen.
„Sie sind ratlos!“, stellte das Wesen in Rajins Metallhand fest. „Der günstigste Augenblick für einen Angriff ...“
Die Metallhand zuckte empor, ohne dass der junge Kaiser dies gewollt hätte. Das Wesen darin war fest entschlossen, etwas zu unternehmen. Rajin spürte, wie es Kräfte sammelte und selbst ihm noch welche zu entziehen versuchte. Kräfte, die sich in einem gewaltigen Schlag entladen sollten, um zumindest einen Teil der geflügelten Schatten zu schwächen.
Die Metallhand hob sich zum Himmel empor, öffnete sich und begann mit einer Intensität zu glühen, die sie bisher noch nicht gezeigt hatte.
Nein!, durchfuhr es Rajin, und im letzten Moment gelang es ihm, die Hand wieder zu schließen, als er die Herrschaft über sie zurückgewonnen hatte. Laut sagte er: „Nein, wir würden die Schatten nur stärken. Wie in Nangkor. Auf diese Weise sind sie nicht zu besiegen.“
„Betet Ihr zu Eurem Unsichtbaren Gott, oder sprecht Ihr nur Euch selbst Mut zu?“, fragte Erich von Belden den Kaiser.
Rajin wollte antworten, aber dann sah er den Lichtflor, der Erichs Hände umgab. Auch der Ritter bemerkt es und starrte überrascht darauf, während
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