DRACHENERDE - Die Trilogie
fünf Monden der Drachenerde noch von den Gestirnen war noch etwas zu sehen. Mochte der Schneemond sich auch in letzter Zeit auf bedrohliche Weise aufgebläht haben, in dieser Sturmnacht war er nicht einmal als verwaschener Lichtfleck auszumachen. Kein Lichtstrahl dieses hellsten aller Monde schimmerte durch die dunkle Wolkendecke.
Immer wieder wurde Orik von Wellen emporgetragen und versank anschließend wieder in einem Wellental. Dass er den Meeresräubern entgangen war, war pures Glück gewesen und lag wohl in erster Linie daran, dass die Säurezahnfische genug zu Fressen gefunden hatten, bevor der Sturm ihre grausige Mahlzeit unterbrochen und sie vertrieben hatte.
Ein einzelner Säurezahnfisch hatte Orik attackiert und ihm ins Bein gebissen. Aber der Seemanne hatte den etwa armlangen Angreifer verhältnismäßig leicht abschütteln können, und die Säure war durch das Meerwasser schnell verdünnt und ausgewaschen worden, sodass sie ihm kaum geschadet hatte. Einzeln waren diese Meeresräuber kaum gefährlich – aber wenn ein ganzer Schwarm über einen herfiel, war ein grausames Ende gewiss.
Orik wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, denn die Mondzenite waren in dieser finsteren Nacht, in der sich selbst die Götter von den Seemannen abgewandt hatten, nicht zu sehen. Er trieb, sich an seiner Planke festklammernd, im Sturm dahin und konnte kaum etwas sehen. Die Feuer auf den brennenden Schiffswracks waren von den Regenschauern gelöscht worden, oder die Schiffe waren längst untergegangen und hatten samt ihren Besatzungen Eingang in Njordirs nasses Reich gefunden.
Orik fühlte sich müde und schwach. Seine Kehle brannte immer mehr. Wie leicht wäre es gewesen, die Planke einfach loszulassen und in die salzige Tiefe der Mittleren See zu versinken, hinein in Njordirs Reich, in das er am Ende ohnehin eines Tages eingehen würde.
Orik fragte sich, ob wohl dennoch der Traumhenker zu ihm niederfahren und seine Seele vom Körper trennen würde oder ob sie aufgrund der besonderen, nicht ganz alltäglichen Art seines Todes an seinem Körper würde haften bleiben, wie es in manchen Geschichten erzählt wurde. Oft genug waren diese Geschichten mit mehr oder minder schaurigen Elementen angereichert. Sie berichteten von Schiffbrüchigen, denen der Traumhenker Ogjyr nicht in die Tiefe des Meeres hatte folgen wollen, sodass ihre Seelen mit den toten Körpern verbunden geblieben waren. Njordir verwehrte diesen Unglücklichen den Eingang in sein Reich, denn er hielt sie für Lebende. Manche kehrten dann als schauderhafte, algenüberwucherte Gestalten zurück und suchten die Strände heim, wo sie einsame Wanderer töteten und sich von deren Zungen ernährten, in der Hoffnung, dass ihre toten Münder dadurch die Kraft erhielten, zum Herrn des Augenmonds zu rufen, auf dass er zu ihnen herabstieg und sie erlöste.
Der Sturm toste die ganze Nacht über, und erst im Morgengrauen ließ das Unwetter nach. Bei Sonnenaufgang schließlich klarte sogar der Himmel allmählich auf. Der feuchte Dunst, der über dem Meer waberte wie ein böser Geist, ließ die aufgehende Sonne wie einen verwaschenen Fleck aus verdünntem Drachenblut erscheinen.
Orik, der die Nacht über gegen die Müdigkeit und die Schwäche angekämpft hatte, sah sich um und fand sich ganz allein auf dem Meer treibend. Noch immer türmten sich Wellenberge wie unüberwindliche Gebirge vor ihm auf, um ihn im nächsten Moment selbst mit in die Höhe zu hieven und wieder fallen zu lassen.
Ihm war klar, dass auch der beste Schwimmer so weit von jedem Eiland entfernt keine Überlebenschance hatte. Irgendwann, das stand fest, würde die Müdigkeit übermächtig werden und die zunehmende Schwäche ihn dazu zwingen, das Stück Holz, an das er sich noch klammerte, loszulassen.
Warum nicht schon jetzt?, fragte er sich in manchen Augenblicken. Was hätte er zu verlieren außer einer Fortsetzung seiner Qual, da er doch wusste, dass er nach menschlichem wie göttlichem Ermessen wohl keine Errettung finden würde?
Von der Flotte der Tausend Schiffe war nichts geblieben. Was nicht ein Opfer der Drachen geworden war, hatte der Sturm gepackt und fortgerissen. Seine Männer, so nahm Orik an, befanden sich gewiss längst in den Tiefen von Njordirs Reich, und es war ihnen nur zu wünschen, dass es der Meeresgott bei ihrer Aufnahme nicht so genau nahm, wie es manche Legenden wissen wollten.
Gegen Mittag schien die Sonne von einem strahlend blauen Himmel, über den nur noch vereinzelte
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