DRACHENERDE - Die Trilogie
grauweiße Wolken zogen. Als Orik in der Ferne die Schatten dunkler Schwingen sah, durchfuhr ihn zunächst blankes Entsetzen. Kehrten die Drachen zurück, um selbst den letzten Schiffbrüchigen noch zu töten? Orik traute den Dracheniern auch diese Grausamkeit zu, denn der alte Ehrenkodex der Drachenreiter-Samurai hatte unter der Herrschaft des Usurpators Katagi erheblich gelitten, wie man sich selbst im hintersten Winkel des Seereichs erzählte.
Orik blinzelte, denn er glaubte, einem Trugbild erlegen zu sein. Geheimnisvolle Spiegelungen von Luft und See waren ein Phänomen, mit dem die Götter immer wieder Sterbliche zu verwirren suchten.
Inzwischen war Orik etwas wacher, spüre aber um so deutlicher den Durst und die unangenehme Geschmacksmischung aus Salzwasser, Drachenblut und Algen, die sich noch verstärkt zu haben schien und in ihm das Gefühl erzeugte, sich ständig übergeben zu müssen.
Die herannahenden Schatten, die sich so dunkel gegen das Sonnenlicht abhoben, gehörten Vogelmenschen. Ganz leise hörte Orik ihre Rufe. Er wollte ihnen etwas zubrüllen und damit auf sich aufmerksam machen, aber aus seinem Mund kam nicht mehr als ein heiseres Krächzen.
Die Vogelmenschen hatten ihn allerdings längst mit ihren scharfen Augen entdeckt. Einer von ihnen flog auf den Schiffbrüchigen zu, senkte die Flugbahn stark ab und ergriff ihn unter den Armen. Mit einem Ruck wurde Orik aus dem Wasser gezogen. Die Hände des Vogelmenschen waren außerordentlich kräftig. Mit sanftem Flügelschlag flog er einen Bogen und wandte sich Richtung Westen.
Orik schaute hinab auf das Wasser und blickt sofort wieder empor, damit ihm nicht schwindelig wurde.
Dann wurde er ohnmächtig …
Als er erneut erwachte, fand er sich auf einem Lager wieder.
„Das Riechsalz scheint zu wirken“, sagte eine Stimme.
Orik fuhr auf. Man hatte ihm die nasse Kleidung ausgezogen und ihn unter eine Decke gelegt. Außer einem weißbärtigen Mann, der das Amulett eines Heilers trug, befanden sich noch zwei Vogelmenschen im Raum, von denen Orik einen als denjenigen wiedererkannte, der ihn aus dem Meer gefischt hatte, und zudem war da noch ein breitschultriger Mann, auf dessen Haupt kein Haar mehr wuchs, aber dessen Bart dafür umso üppiger spross und zu zwei Zöpfen geflochten war. Orik hatte ihn schon mal im Kapitänsrat von Seeborg gesehen.
„Du musst Thyrdur Zopfbart, der Hochkapitän von Vogelborg sein“, entfuhr es Orik. „Dann träume ich also nicht.“
„Nein. Unsere gefiederten Kundschafter haben ein halbes Dutzend Überlebende der großen Schlacht zwischen der Flotte von Bronr Eishaarsohn und der Kriegsdrachenarmada aus dem Wasser gefischt. Vielleicht werden sie noch den einen oder anderen Mann finden. Aber große Hoffnung besteht nicht. Ein paar Schiffe sind zurückgekehrt, und einige davon sind danach hier in Vogelborg geblieben; unsere Schiffsbauer bemühen sich, sie soweit wieder flott zu kriegen, dass man sich mit ihnen aufs Meer wagen kann. Ein paar andere mögen sofort zurück nach Seeborg gesegelt sein, um die traurige Kunde unserer Niederlage zu verbreiten.“
Orik schluckte. Dann wandte er sich an jenen Vogelmensch, der ihn gerettet hatte. „Wie heißt du?“
„Sharash“, sagte der Vogelmensch.
„Ihre Namen sind manchmal schwer zu verstehen und noch schwerer auszusprechen“, mischte sich Thyrdur Zopfbart ein. „Die meisten haben nichts dagegen, wenn man ihnen der Einfachheit halber einen Namen gibt, wie er bei uns geläufig ist.“
„Nein“, sagte Orik. „Er hat Anspruch darauf, dass er bei seinem richtigen Namen genannt wird. Ich danke dir, Sharash.“
Das Gesicht des Geflügelten blieb ausdruckslos. Es war nicht zu erkennen, was er empfand. „Sharash ist bereits die kurze Form meines Namens, den ich im Umgang mit Angehörigen deines Volkes verwende“, erklärte der Vogelmensch. „Meinen wahren Namen könntest du nicht über die Lippen bringen, und du hörst wahrscheinlich auch nicht einmal alle Töne, die dabei entstehen, würde ich ihn dir nennen.“
„Wie auch immer – ich hätte nicht geglaubt, dass mich da draußen noch jemand findet, geschweige denn aus dem Wasser zieht. Meine einzige Hoffnung war, dass der Traumhenker meine Seele vom Körper trennt, damit ich überhaupt in Njordirs Reich eingelassen werde.“
„Vielleicht wird dir dieser Wunsch noch erfüllt“, sagte Thyrdur Zopfbart.
Orik runzelte die Stirn. „Was soll das heißen?“
„Vor einer Stunde sind unsere letzten
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