DRACHENERDE - Die Trilogie
untersten Plateau in unmittelbarer Nähe des Hafens lebte bereits kein einziger Seemanne mehr, und auch zahlreiche Vogelmenschen lagen ausgestreckt und nicht selten auf schreckliche Weise durch Drachenfeuer verbrannt auf dem steinernen Untergrund. Fußsoldaten der Drachenier durchsuchten jedes Haus, das man noch betreten konnte, nach Überlebenden. Offenbar hatten sie die Anweisung, jeden zu töten, dem sie begegneten. Sie hatten nicht einmal Skrupel, Kinder zu erschlagen, deren Schreie schrill durch den Kampflärm drangen.
Immer mehr Gondeldrachen erreichten die Stadt. Niemand konnte sie noch daran hindern, Fußsoldaten abzusetzen. Orik ahnte, dass auch diese Schlacht verloren war. Er sah Thyrdur Zopfbart, der nur wenige Schritte von ihm entfernt gegen gleich zwei Drachenier kämpfte. Sie droschen mit ihren leicht gebogenen Matana-Schwertern auf ihn ein, und er versuchte so gut wie möglich, sich zu verteidigen. Doch dann spaltete ein Hieb seinen Schädel vom Scheitel bis zum Kiefer. Der Schlag war mit solcher Wucht geführt, dass selbst der leichte Helm, den Thyrdur trug, keinen Schutz bot. Blutend sank der Hochkapitän von Vogelborg auf die Knie.
Doch ehe der Drachenier sein Schwert aus dem Schädel seines Gegners befreien konnte, war Orik hinzugestürmt und trieb dem Soldaten die Klinge in den Rücken. Mit einem Fußtritt stieß Orik ihn von sich und duckte sich unter dem Schwerthieb des zweiten Gegners hinweg. Orik unterlief die Attacke einfach und schlug seinerseits zu, ließ seine Klinge dicht über den Boden sausen – und hackte dem Soldaten beide Füße dicht über den Fesseln ab!
Im nächsten Moment spürte er, wie ihn von hinten etwas packte. Es waren die Arme eines Vogelmenschen, und es handelte sich um jenen Geflügelten, der sich gegenüber den Menschen Sharash nannte. Er riss Orik mit sich in die Höhe. Innerhalb weniger Augenblicke schwebte der Seemanne bereits anderthalb Mastlängen über dem obersten Plateau von Vogelborg.
Aus den Augenwinkeln heraus sah er, dass auch Kallfaer von einem der Gefiederten gepackt und mitgerissen worden war. Aber der Mann aus Winterborg nahm das nicht einfach so hin, sondern protestierte lautstark, jedoch ohne Erfolg. „Was fällt dir ein, du gefiederte Missgeburt? Wieso trennst du mich von meinen Feinden? Ich will so viele wie möglich von ihnen zur Strecke bringen!“
Doch der Gefiederte ignorierte das Gezeter Kallfaers.
Orik blickte hinab. Ein Pfeil sirrte dicht an ihm vorbei und hätte um ein Haar Sharashs linken Flügel erwischt.
Doch wenig später waren die beiden Vogelkrieger über die erste Felsenkette an der Küste hinweggeflogen. Dahinter folgte eine zerklüftete Landschaft, die von tiefen Schluchten durchzogen wurde. In ihrer Tiefe herrschte ewiger Schatten.
„Bring mich zurück!“, rief Kallfaer dem Vogelkrieger zu, der ihn hielt. Doch dieser ignorierte ihn einfach, und sich in seiner jetzigen Lage dem Griff der außerordentlich starken Hände zu entwinden, die ihn hielten, erschien auch Kallfaer alles andere als ratsam. Ein Sturz aus dieser Höhe auf die scharfkantigen Felsen wäre in jedem Fall sein Ende gewesen.
Mit kräftigem Flügelschlag beschleunigten die Vogelmenschen, und die Geschwindigkeit, mit der sie daraufhin flogen, hätten weder Orik noch Kallfaer jemals mit einem ihrer Langschiffe erreicht. Die Hände der Vogelkrieger hielten sie dabei so sicher und fest, dass sich das anfängliche Unbehagen der beiden Seemannen mehr und mehr legte. Zudem hatten diese Kreaturen sie ja auch als Schiffbrüchige aus dem Meer gerettet und sie über eine längere Strecke hinweg getragen, sodass zumindest Orik nicht mehr daran zweifelte, dass er im Griff der Vogelkrieger vollkommen sicher war. Sicherer jedenfalls als in Vogelborg.
Kallfaer hingegen konnte es offenbar einfach nicht verwinden, dass man ihn aus dem Kampf gerissen hatte. Es wäre ihm lieber gewesen, in Vogelborg zu sterben, mit dem Schwert in der Hand, denn dann hätte er noch vielen Drachenier den Schädel spalten können, um anschließend zumindest bei Njordir den Seelenfrieden zu finden, der ihm in der diesseitigen Welt wohl nie wieder zuteil werden würde.
In der Ferne sah Orik vereinzelt weitere Vogelkrieger dahinfliegen. Manche trugen ebenfalls einen Seemannen mit sich durch die Lüfte, so wie Sharash und sein bisher namenlos gebliebener Kampfgefährte es taten.
Sie flogen mitten ins Herz der unwegsamen Insel. Die Felsen ragten immer schroffer und in bizarren Formen auf, und nur
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