DRACHENERDE - Die Trilogie
auch seine Gedanken, auch wenn er sie nicht verstand. Doch dass diese Kreatur vernunftbegabt war, daran bestand für ihn kein Zweifel.
Beide starrten sich für ein paar Sekunden nur an und regten sich nicht. Ein Schwall von Gedanken erreichte Branagorn, doch das waren alles nur wirre Bilder. Gedankenmuster, die ihn an manche Wandteppiche erinnerten, wie man sie im Palast von Drakor finden konnte oder in den Häusern vornehmer Kapitäne in Seeborg. Aber das alles gehörte zu einer Welt, die gerade der endgültigen Zerstörung anheimfiel.
Auf einmal zuckte der Vielbeiner zurück, dann schnellte er davon, lautlos und blitzschnell, und nur einen Lidschlag später war er verschwunden.
Branagorn wartete ein, zwei Sekunden, dann setzte er sich wieder in Bewegung und ging weiter.
Schließlich fand er Erich von Belden vor einem mächtigen, von Schlingpflanzen eingeschnürten Baum sitzen. Schwebende Pilze umgaben den Baum; sie hatten kleine Säcke ausgebildet, in denen sich ein leichtes Gas befand, und von dem gaben sie ab und zu etwas ab, um auf diese Weise ihre Schwebehöhe zu regulieren. Branagorn konnte es riechen, obwohl es nur in feinster Zerstreuung seine Nase erreichte.
Erich von Belden kauerte auf einer der dicken Wurzeln. Er war fast völlig verblasst. Branagorn vermochte ihn noch zu sehen, aber für ein menschliches Auge wäre er bereits unsichtbar gewesen.
„Bleibt, wo Ihr seid, Branagorn!“, rief er dem Bleichen Einsiedler zu und deutete auf das Moos auf dem Waldboden: Es war grau und vertrocknet. Erich erhob sich von seinem Platz und bewegte sich dabei betont langsam und vorsichtig. In diesem Moment hörte man Holz bersten, und ungefähr ein Dutzend Schritt entfernt brach der Stamm eines offenbar völlig morsch gewordenen Baums, der mit der für diese Welt so kennzeichnenden Langsamkeit umstürzte und dabei zahllose Stauden und kleinere Bäume zur Seite drückte, sodass eine Schneise entstand.
Erich deutete auf die Wurzel, auf der er gesessen hatte. „Ich hatte schon gehofft, diese Wurzel würde zu dem Baum hinter mir gehören, der ja ganz unversehrt scheint. Aber sie wucherte wohl von dort drüben herüber, sodass die tödliche Wirkung, die meine Berührung hat, den Waldriesen dort traf. Herr im Himmel, es schien, als hättet Ihr mich von diesem Übel geheilt. Mehr noch, als könnte ich sogar mit meinem Willen über diese mörderische Gewalt gebieten.“
„Das könnt Ihr auch.“
„So? Und wir erklärt Ihr dann, was gerade geschah? Wenn ich mich nur hinsetze, ist der Boden unter mir sogleich voll mit totem Gewürm!“
„Das Passieren des Tors hat Eure Empfindungen und Euren Geist verwirrt und offenbar diesen Rückfall ausgelöst“, sagte Branagorn. „Aber das lässt sich leicht beheben.“
„Wollt Ihr wieder eines Eurer Teufelsrituale an mir durchführen?“ Heftig schüttelte Erich von Belden den Kopf. „Wenn ich nicht der Überzeugung wäre, schon gestorben zu sein, würde ich Euch bitten, mich zu töten, damit kein Unheil mehr von mir ausgehen kann.“
„Selbst dazu wäre es zuvor nötig, Euch mit einem Zauber zu belegen, denn ich führe keinen Bogen mit mir, mit dem ich Euch aus der Ferne töten könnte“, erwiderte Branagorn.
Erich von Belden wollte etwas erwidern, doch dann sah er, wie Branagorn in seine Tasche aus Wolfshirschleder griff, eine Pulverdose hervorholte und eine Prise des Inhalts in die Luft streute. Dazu murmelte er eine Beschwörung. Die Pulverteilchen flogen wie Insekten auf Erich zu und umkreisten ihn. Dass sie nicht zu Boden sanken, hatte in diesem Fall wohl nichts zu tun mit dem geringen Eigengewicht, das sie auf dem Jademond hatten.
Die Teilchen drangen in die Lichtaura ein, die Erich von Beldens transparente, fast verblasste Gestalt vollkommen umgab, leuchteten grell auf und ließen die Aura völlig verschwinden. Erichs Körper gewann wieder an Substanz.
Doch war er offenbar nicht wirklich glücklich über das, was Branagorn getan hatte. „Es wird nicht lange anhalten“, war er überzeugt.
„Das hängt von Eurem Willen ab“, erklärte Branagorn. „Erprobt Eure innere Kraft!“
„Was immer das auch sein mag, sie scheint dafür einfach nicht auszureichen.“
„Ihr werdet es schon lernen“, gab sich Branagorn zuversichtlich. Er ging auf Erich zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Jeder Eurer Rückfälle verrät mir mehr über die Natur des Polyversums. Über das Verhältnis, in der verschiedene Welten und Existenzebenen zueinander stehen,
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