DRACHENERDE - Die Trilogie
einer Kabine, die kaum die halbe Größe des Alkovens maß, den ihre Eltern als Schlafstätte benutzt hatten. Eine Abstellkammer ohne Fenster, in der es stockdunkel war.
Zwischendurch kam einer der kaiserlichen Krieger und brachte ihr eine Decke, die er über ihren erstarrten Körper ausbreitete, denn es wurde immer kälter.
Ansonsten war Nya allein mit ihren Gedanken und den grausamen Erinnerungen. Sie hatte gesehen, wie ihre Mutter von einem Pfeil getötet worden war. Was mit ihrem Vater geschehen war, wusste sie nicht, aber sie war überzeugt davon, dass auch er nicht mehr am Leben war – so wie alle anderen Einwohner Winterborgs.
Nya versuchte sich zu bewegen. Aber eine unheimliche Kraft hinderte sie daran, selbst den kleinen Finger zu rühren. Die einzige Regung, die sie zustande brachte, war ein Blinzeln mit den Augenlidern. Sie atmete flach, aber regelmäßig, und ihr Herz schlug. Aber ansonsten war nichts, wie es hätte sein sollen. Der Mann mit den Jadeaugen verfügte offenbar über Zaubermacht. Ein paar winterländische Händler, die schon bis zum Hafen Dalbos im Lande Magus vorgedrungen waren, um dort Waren zu kaufen oder anzubieten, hatten einiges über das Aussehen der Magier berichtet: über die auffällig gebogenen und sehr buschigen Augenbrauen, über die so genannte Magierfalte auf der Stirn, die von der Form her aussah wie eine nach unten gerichtete Pfeilspitze, und vor allem über das grüne Leuchten der Augen, das mal stärker und mal schwächer zutage trat und manchmal auch gar nicht zu sehen war.
Dieser Mann musste ein Magier in den Diensten des Kaisers sein. Mit Schaudern dachte Nya daran, wie er ihre Seele durchforscht und sie bis in den letzten Winkel durchdrungen hatte. Eine innere Kälte hatte sie dabei erfasst, gegen die sich der härteste Winter ihrer rauen Heimat wie ein laues Frühlingslüftchen ausnahm.
2. Kapitel:
Der Herr des Augenmondes
Als Kallfaer Eisenhammer erwachte, war alles, was er zunächst spürte, ein furchtbarer Schmerz. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war, dass ihn etwas am Kopf getroffen hatte. Verschwommene Bilder an das wilde Kampfgetümmel zwischen einer Handvoll Winterborger Seemannen und mehr als einem Dutzend drachenischen Fußsoldaten stiegen in ihm auf, und allmählich fügten sich die Bruchstücke zu einem Ganzen zusammen. Eine neue Welle des Schmerzes durchzuckte seinen Kopf. Sein Herz hämmerte wie wild, und mit jedem dieser Hammerschläge schien der Schmerz noch zuzunehmen. Er versuchte den Kopf zu heben und die Augen zu öffnen. Eine Blutlache versickerte unmittelbar vor seinem Gesicht im Boden. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass es sein eigenes Blut war.
Ein Speer hatte ihn am Kopf gestreift und ihn gefällt wie einen Baum.
Die Erinnerung daran kehrte auf einmal mit aller Macht zurück. Es fiel ihm wieder ein, wie der blutige Speer im nächsten Moment den Rücken von Svejn Lodvirssohns durchbohrt hatte. Svejn war ein treuer Gefolgsmann Kallfaers gewesen – nun lag er hingestreckt da.
Kallfaer atmete tief durch. Frisches Blut, das aus der Wunde an seinem Kopf quoll, rann ihm ins linke Auge. Er stützte sich mit den Armen auf, dann langte er nach seinem Schwert. Das lag nur eine halbe Armlänge von ihm entfernt auf dem Boden. Er umfasste den Griff. Den Dracheniern war es nicht wertvoll genug gewesen, um es mitzunehmen, obgleich die Klinge aus bestem Feuerheimer Stahl war. Aber die Schwerter der Seemannen waren den Kriegern des Drachenlandes zu plump und schwer, wohingegen man unter Seemannen häufig genug darüber spottete, dass die Drachenier einfach zu schwach waren, um ein richtiges Schwert führen zu können.
Schließlich stand Kallfaer auf seinen Beinen. Ihm schwindelte, und er betastete vorsichtig die Wunde an seinem Kopf. Die Drachenier mussten ihn für tot gehalten und deswegen ebenso achtlos liegen gelassen haben wie seine Klinge. Kallfaer wischte sich das Blut aus dem linken Auge. Er sah sich um und lauschte. Eine grausige Stille lag über Winterborg. Die Stille des Todes.
Kein Kampfeslärm, kein Wehklagen, kein Schreien von Verwundeten oder Sterbenden und kein Drachengebrüll. Und keines dieser Ungetüme verfinsterte noch mit seinen weiten Schwingen oder einer voluminösen Kriegsgondel den Himmel über dem Ruinenfeld, das einst ein blühender Ort von Seemammutjägern gewesen war. Die Schlacht war zu Ende und die Angreifer fort, und soweit Kallfaer sehen konnte, hatten sie nur Tod und Zerstörung
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