Drachenfedern I - Schicksalhafte Begegnung
schnaufte tief durch. Als er seinen Bruder vor dem Absatz der Haustüre sitzen sah, das Gesicht tief zwischen seine Knie verborgen, wusste er bereits Bescheid. Er hatte es ihm ja gesagt.
Mit zusammengekniffenen Lippen, schloss er den Wagen ab, schlenderte lässig drumherum und öffnete die niedrige Gartentüre, über die er auch getrost hätte hinweg steigen können.
„He, Fettbacke“, begrüßte er seinen kleinen Bruder freudig. Als dieser jedoch nicht reagierte, setzte er sich neben ihn, legte eine Hand um dessen zitternden Körper und drückte ihn an sich. „Weißt du, was das Schlimmste daran ist?“
Sebastian reagierte nicht.
„Wir stammen von einem Arschloch ab!“ Für diesen Satz würde er von seiner Mutter wahrscheinlich eine weitere gesalzene Standpauke erhalten. Das war ihm jedoch egal. Jetzt ging es alleinig um seinen Bruder. „Was ist es diesmal?“
Immer noch reagierte Sebastian nicht. Die Abfuhr von seinem Vater schien ihn tief getroffen zu haben.
„Unerwartete Geschäftsreise? Oder Autopanne?“
Ein leises Schluchzen kam von dem kleinen, dicklichen Kerl, der todtraurig und enttäuscht in sich zusammengesunken, reglos auf der Eingangsstufe hockte und sich offenbar dazu entschlossen hatte, dort bis an sein Lebensende zu versauern.
“He, komm schon!“, stieß Jonas ihn an. „Ich habe eine Überraschung für dich.“
Nur langsam kam Bewegung in ihn. Sein Kopf kam hoch. Rot verweinte Augen betrachteten ihn neugierig. Jonas fasste in seine Hemdtasche und brachte zwei Eintrittskarten für das heutige Bayern-Spiel hervor. „Mein Boss braucht sie nicht. Da hab ich zugegriffen. Ich dachte mir, du wolltest doch heute ein Spiel sehen.“
Sebastians Augen weiteten sich augenblicklich. Er starrte die Karten an, als sähe er Derartiges zum ersten Mal in seinem Leben. „Du meinst …?“ Er schluckte hart.
„Ich meine, wir beide werden uns jetzt ins Schlachtengetümmel werfen. Ich hoffe, du hast ausreichend Stimme für die Schlachtenrufe.“ Er grinste breit und knuffte ihm in die Seite.
Augenblicklich war sämtliche Enttäuschung verschwunden. „Cool!“, rief er, sprang auf seine Beine und rannte nach seiner Mutter schreiend ins Haus.
Jonas erhob sich grinsend und folgte ihm. Seine Mutter kam ihm im Flur entgegen, verwirrt dem vor Freude jubelnden Jungen nachsehend, wie er polternd die Stufen zu seinem Zimmer hochjagte, um sich sein Bayern-Trikot zu holen. Sie drehte den Kopf herum und blickte Jonas an. Zuerst betrachtete sie ihn verärgert, schließlich lockerte sich ihr missmutiger Blick und sie nickte ihm dankbar zu. Jonas kam näher, lehnte sich an den Türstock und räusperte sich leise.
„Wenn dieses Arschloch Basti noch einmal irgendwas verspricht, was er ohnehin niemals einhalten wird, schneide ich ihm seinen verdammten Schwanz ab.“ Er hatte noch ganz andere Dinge im Sinn gehabt, die hätten seine Mutter jedoch noch viel mehr geschockt, als das was er eben von sich gegeben hatte.
Seine Mutter plusterte sich entrüstet auf. „Wie respektlos sprichst du von deinem …“
„Das einzige, wofür ich diesem Arsch dankbar bin, ist“, unterbrach Jonas seine Mutter schroff, „… dass er Basti und mich ins Leben gesetzt hat. Zu mehr war er auch nicht fähig.“
Sebastian kam die Treppe heruntergepoltert, sein Bayern-Shirt über seinem T-Shirt und eine große blauweiße Fahne schwenkend. Jonas grinste breit, als sein kleiner Bruder johlend und Schlachtenrufe grölend an ihm vorbei stürmte.
„Das kannst du ihm ruhig sagen, wenn du ihn das nächste Mal anrufst. Das …“ sagte Jonas und deutete mit einem Blick in die Richtung, in die Sebastian gestürmt war, „… ist nicht mein Job.“ Damit stieß er sich von dem Türrahmen ab und folgte dem aufgeregten Kerlchen, der trotz seiner Leibesfülle erstaunlich behände und quirlig, wie ein Gummiball durch den Vorgarten hüpfte. Von seiner vorherigen Traurigkeit war nicht ein Hauch zurückgeblieben.
Die beiden Brüder amüsierten sich in der Bayern-Kurve königlich. Noch vor dem Ende der ersten Halbzeit hatte sich Sebastian bereits heißer geschrien. Dennoch krähte er munter und voller Verzückung den Spielern auf dem Feld zu. Sein Gesicht war bald rot vor Begeisterung und Freude. Er schwitzte, ließ sich jedoch von den hochroten Backen und dem glänzenden Gesicht nicht davon abhalten, weiterhin auf seinem Sitz herum zu toben und bei jeder Torchance und jedem Tor begeistert aufzuspringen und zu kreischen, wie viele tausend
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