Drachenfedern I - Schicksalhafte Begegnung
zog ihn mit sich von dem Händler weg.
Das fehlte ihm gerade noch, dass er sich in seinem Urlaub zusätzlich zu seinem nervigen Bruder auch noch um einen Piepmatz kümmern musste, wo er gerade von Federvieh und deren Besitzern die Nase gestrichen voll hatte. Außerdem würde ihm seine Mutter vermutlich ordentlich die Leviten lesen, wenn er seinem Bruder ein Haustier gestattete.
Da das Hotel ausgebucht war und in seinem Zimmer ein Doppelbett stand, hatte sich die Hotelverwaltung einverstanden erklärt, den Jungen dort einziehen zu lassen. Mit einem amüsierten Lächeln dachte Jonas an den Nachmittag zurück, als sie nach dem Essen noch kurz an den Strand gegangen waren und Sebastian voller Verzückung durch die Wellen gesprungen war. Immerhin war dies sein erster größerer Auslandsaufenthalt und der Junge genoss es vollen Zügen. Von der Trauer über den Tod seiner geliebten Oma war nichts mehr zu sehen.
Mit einem Handtuch um die Hüften, sich mit einem zweiten die Haare trocken rubbelnd kam Jonas aus dem Badezimmer in den Schlafraum, wo Sebastian bäuchlings auf seinem Bett lag und seiner Mutter in Deutschland eine SMS schrieb. Da er am Nachmittag nicht auf ihn hatte hören wollen und sich nicht tüchtig mit Sonnencreme eingerieben hatte, trug er nun eine deutlich gerötete Schulter zur Schau, vermutlich der Grund, warum er auf dem Bauch lag.
Jonas seufzte zufrieden und von dem Anblick seines leise vor sich hinsummenden Bruders ergriffen, rubbelte abermals mit dem Handtuch über seine kurzen Haare und ging unversehens zu Boden.
Eine Vision hatte ihn übermannt.
Allerdings keine der Üblichen.
Schmerz überflutete ihn und ließ ihn gellend aufschreien. Von einer Sekunde auf die andere war er umgeben von heißem, aufgewirbelten Staub, gleißender Sonne, wildem Gebrüll, Hektik, Angst und Schmerz. Schmerz, der ihn ausfüllte und schier bewegungsunfähig machte. Er wollte sich erheben, seine Flügel ausbreiten und davonfliegen. Etwas hielt ihn jedoch auf dem Boden und nagelte ihn mit Schmerz auf den heißen, steinigen Sandboden. Seine verzweifelten Flügelschläge wirbelten Staub auf. Seine Sicht wurde durch die Staubwolken getrübt. Irgendwo neben ihm schrien Männer, links und rechts von ihm, hinter ihm, vor ihm. Er wand sich heftig, versuchte mit seinem gewaltigen Schwanz auszuschlagen, jedoch war auch dieser mit Stricken auf den Boden genagelt und er konnte sich kaum bewegen. Schmerz durchzuckte ihn wie Stromschläge, ließen seine Nervenenden aufschreien, seine Muskeln unkontrolliert zucken und ihn lauthals aufbrüllen. Er warf den Kopf hin und her, zerrte an Fesseln, die seine Bewegungsfreiheit immer mehr einschränkten. Er schnappte nach Schatten, die so töricht waren, sich ihm durch die Staubwolken zu weit zu nähern. Er hörte Knochen knacken. Er hörte Schmerzensschreie. Er vernahm donnerndes Brüllen und stetiger Schmerz. Schmerz, der ihn durchzuckte wie ein gleißender Blitz.
„Joni!“, drang Sebastians hysterisches Kreischen zu ihm durch, als sich diese schreckliche Vision allmählich lichtete. „Joni! Was ist mit dir?“
Jonas musste blinzeln. Der Schmerz war noch immer da, obwohl er sich geistig längst wieder in seinem Hotelzimmer befand. Er schmeckte sein eigenes Blut, da er sich im Kampf mit der Vision offenbar auf die Zunge gebissen hatte. Verzweifelt kämpfte er um Fassung, darum in die Wirklichkeit zurückkehren zu können. Der Schmerz, die Verzweiflung, die Angst und die Wut, die ihn übermannt hatte, waren das Schlimmste an der Vision gewesen. Diesmal war es keine Vision von Fäiram gewesen, sondern eindeutig vom Drachen, der irgendwo gefangen gehalten und gequält wurde.
Sie waren Eins, hatte ihm Fäiram erzählt. Eins mit dem Drachen. Fäiram, der Drache und Jonas.
„Joni ? “, riss ihn die weinerliche Stimme seines Bruders jäh aus seinen Gedanken. „Was ist mit dir?“
Jonas rappelte sich mühsam auf. Der Schmerz war noch immer da, ebbte allerdings allmählich ab. Langsam fand er zurück zu seinem normalen Leben. In seinen Adern pulsierte jedoch noch immer das pure Adrenalin. Sein Herz schlug vor Aufregung bis zum Hals.
„Joni! Joni! Joni!“ Sebastians von Panik erfüllte Stimme hallte in seinem Kopf wieder und ließ ihn den eben erlebten Schmerz noch einmal nachempfinden. „Soll ich Hilfe holen? Joni, was ist mit dir?“
Jonas sah hoch, streckte seinen Arm aus und zog den Jungen an sich.
„Es ist alles in Ordnung. Mach dir keine Sorgen.“
Es war natürlich
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