Drachengasse 13, Band 04
überrascht zusammen, als ein melodischer Glockenton aus ihrem Inneren kam. Der Ton wiederholte sich zweimal, dann nahm das Glühen des Steins plötzlich zu.
Unsicher wich Fleck zurück. Gebannt starrte er den Stein an, über dem sich nun eine schimmernde Wolke bildete. Im Inneren der Wolke nahm etwas Gestalt an. Es sah aus wie … der Oberkörper eines Menschen!
Der Mann, der ein Hemd und darüber ein ärmelloses Wams trug, wirkte seltsam flach und farblos, eher wie ein Bild als wie eine tatsächliche Person. Seine Augen waren von einem grauen Tuch bedeckt. Dennoch wandte sich das bartlose Gesicht, das von langen, zotteligen Haaren umgeben war, Fleck zu. Die Miene des Mannes verzog sich zu einem freudig erstaunten Lächeln. Er schien den Drachen sehen zu können.
„Meiner Treu, was bist du denn für ein drolliger kleiner Kerl?“
Auch wenn Fleck keine Ahnung hatte, was der seltsame Mann in der Wolke von ihm wollte, stieß er ein zaghaftes Quäken aus.
„Ah, dein Name ist also Fleck“, rief der Fremde gut gelaunt. „Freut mich, dich kennenzulernen, mein Lieber. Du erinnerst mich an einen guten Freund von mir. Aber einerlei. Was verschafft mir denn die Ehre deines Anrufs?“
Seinen Namen hatte Fleck verstanden. Offenbar kannte ihn der Mann. Das war seltsam, denn Fleck war sich ziemlich sicher, ihn noch nie gesehen zu haben. Vorsichtig quäkte er erneut.
Der Mann runzelte die Stirn. „Einen Augenblick, mein Bester. Habe ich das richtig verstanden? Du bist im Tafeleck bei den Rittern? Gehörst du gar zu ihnen? Zu Rubard Rotbart oder G’Horrn, dem Mächtigen? Ach, nein, warte, die dürften mittlerweile längst tot sein.“
Fleck hatte keinen Schimmer, was der seltsam flache, graue Mann mit den verhüllten Augen da erzählte. Mit einigen missmutigen Quäk- und Gurgellauten versuchte er ihn genau das wissen zu lassen.
Der Fremde hielt inne, und sein Gesicht nahm einen ernsteren Ausdruck an. „Ich verstehe. Ich bitte vielmals um Verzeihung. Es liegt mir fern, Euch zu beleidigen. Mir war nicht klar, dass Ihr selbst ein Ritter seid. Mein Fehler. Also, warum ruft Ihr mich? Sagt nicht … “ Er stockte, und Erschrecken huschte über seine Züge. „Sagt bloß nicht, dass es geschehen ist!“
Fleck verspürte einen Juckreiz in der Nase und nieste.
„Oh, bei den Göttern, die ihr in Mintaria anbetet! Nach all den Jahren? Ich hatte gehofft, dieses Übel für alle Ewigkeit gebannt zu haben.“ Der flache Mann beugte sich ein wenig vor, sodass sein Gesicht beinahe aus der Wolke herauskam. „Vermögt Ihr mir zu sagen, wie es passieren konnte?“
Langsam wurde Fleck unruhig. Dieser Bursche hörte einfach nicht auf zu reden. Würde er bloß verstehen, was sein Gegenüber von ihm wollte! Er wünschte sich, Hanissa wäre da. Die wüsste bestimmt, was zu tun wäre.
Hanissa! Eine großartige Idee. Fleck musste Hanissa die Kugel und den Flachgraumann zeigen. Sie war schließlich nicht weit weg. Wenn er sich beeilte, befand sich der Kerl vielleicht noch in der Wolke, wenn er gleich mit ihr zurückkehrte.
Fleck stieß ein eifriges Quäken aus und schwenkte die Vorderpfoten, um dem Mann zu bedeuten, genau hier auf ihn zu warten.
„Selbstverständlich“, erwiderte dieser nickend. „Die Zeit drängt – so wie immer, wenn eine Welt vom Bösen befallen wird. Ich mache mich umgehend auf den Weg. Wir reden weiter, sobald ich eingetroffen bin.“
Im nächsten Augenblick gab es ein dumpfes Puffen, und die Wolke zerstob ins Nichts. Der golden glühende Stein auf dem Altar verlor an Leuchtkraft und lag nun wieder da wie zuvor, als Fleck den Raum betreten hatte.
Der Jungdrache stieß ein unterdrücktes Jaulen aus. Unschlüssig pendelte sein Kopf auf dem langen Hals hin und her, während sein Blick vom Stein auf dem Altar zur Tür und wieder zurück schweifte.
Schließlich ging Fleck wieder auf den Altar zu, öffnete das Maul und klaubte den sanft schimmernden Stein mit den Zähnen aus der Silberfassung. Er würde ihn zu Hanissa bringen! Sie war sicher imstande, den Mann in der Wolke zurückzuholen.
Die Kugel fühlte sich völlig glatt an und außerdem ein bisschen warm. Mit einem zufriedenen Schmatzen schloss Fleck das Maul wieder und sicherte die Kugel mit seiner langen Zunge, um sie nicht versehentlich zu verschlucken. Anschließend huschte er aus dem Raum zurück auf den Gang …
… nur um dort mit einem dicken Menschen zusammenzustoßen, der gerade aus der Tür mit dem Vorhängeschloss heraustrat. Er hatte eine
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