Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Drachenglut

Titel: Drachenglut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
Vom Netzwerk:
sich an den Tisch, um mehr Halt zu finden, er ließ den Kopf hängen und versuchte sich auf die Geräusche im Flur zu konzentrieren. Wieder hörte er Stephens Stimme unnatürlich laut.
    »Ach so. Ja, er hat gesagt, ihm wäre irgendwie ü bel gewesen. Nein, er ist wieder raus gegangen. Er wol l te einen klaren Kopf kriegen, hat er gesagt.«
    Das Murmeln der anderen Stimme war unve r ständlich. In Michaels Kopf hämmerte es. Seine Hände lagen auf der Tischplatte, unscharfe, leere Hüllen, und durch sie hindurch sah er die Holzmas e rung. Unvermittelt überkam ihn Verachtung für ihre mangelnde Festigkeit. Einzig sein Messer war etwas Festes: glattes, hartes Metall. Er umklammerte es. Irgendwo weit weg redete Stephen immer weiter, langsam und selbstsicher.
    »Ich zweifle nicht daran, dass er sich am Montag bei Ihnen entschuldigen wird. Nein, ich weiß nicht, wann er zurückkommt. Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich bedanke mich vielmals für ihre Fürsor g lichkeit.«
    Dann gab es wieder ein langes Schweigen. Mich a el hielt den Kopf gesenkt. Er konnte durch seinen Bauch hindurch den Schrank dahinter sehen. Die si l berne Gürtelschnalle hing wie ein geheimnisvolles Schmuckstück in der Luft. Sie bezauberte ihn. Sie war auf ihre Weise so schön – und so geheimnisvoll – wie diese Seelen, die er gesehen hatte. Ein wirklich wunderschönes Ding …
    »Michael.« Das war Stephens Stimme, nah und laut. »Du hattest recht. Ich hab so was noch nie ges e hen. Was für ein schreckliches Untier!«
    Michael nahm den BLICK wieder zurück und die Schnalle verblasste wieder zu ihrem gewohnten alten Bild. Er hob erschöpft den Kopf und befürchtete; dass Stephen über seinen Zustand reden würde. Er wusste zwar nicht, wieso, aber irgendwie fühlte er sich verdächtig und schuldig und wollte sich ungern dazu befragen lassen. Aber seinen Bruder beschäfti g te etwas anderes.
    »Ich konnte nicht anders, Mikey: Nachdem du mir das erzählst hattest, musste ich den BLICK einse t zen. Aber ich hab gewartet, b is er sich zum Gehen umgedreht hatte, dann hab ich ihn kurz von der Seite GEBLICKT. Er hat es nicht mitgekriegt.«
    »Hoffentlich.«
    »Ich musste es einfach tun. Jedenfalls bin ich ihn ganz schnell wieder losgeworden. Ich hab nichts ve r raten, es sei denn, er konnte meine Gedanken lesen wie bei dir, aber dagegen können wir nichts tun.«
    Michael ließ sich schwer auf den Stuhl sinken. »Was hat er gesagt?«
    »Na, was wohl? ›Tut mir schrecklich leid, dass ich so spät noch störe. Mache mir große Sorgen. Beda u erlicher Vorfall in meinem Haus. Ihr Bruder schien mir ganz verzweifelt .‹ Solche Sachen. ›Da wollte ich eben kurz vorbeischauen und mich nach ihm erku n digen. ‹ Er hat es echt gut durchgezogen. Wenn du mir nichts erzählt hättest, hätte ich ihn vielleicht au f gefordert, reinzukommen und sich selber zu übe r zeugen, dass alles in Ordnung ist.«
    »Bloß nicht!« Michael war zusammengezuckt.
    »Er hat gefragt: ›Ist Michael da? Ich würde ihn gern sprechen.‹ Und obwohl es sich ganz freundlich anhörte, war in seiner Stimme etwas Scharfes, B e drohliches. In dem Moment wusste ich, dass ich den BLICK einsetzen musste. Ich habe auf Wiedersehen gesagt, und als ich die Tür zumachte, hab ich’s getan. Und ich kann dir sagen – der ist wirklich böse! Hast du die Gier in seinen Augen gesehen? Man fragt sich, was er getan hat, dass er so geworden ist … « Er brach ab, aber Michael sagte nichts. »Du hattest recht mit der Farbe. Und den Zähnen. Aber was die Kr o kodilsform angeht – ich weiß nicht, irgendwie stimmt die nicht ganz. Krokodilsköpfe sind doch nicht so gebogen, oder? Die haben flachere Schna u zen.«
    »Und was ändert das?« Michaels Anspannung l ö ste sich in einem heftigen Ausbruch. »Du hast es g e sehen, du hast es g espürt! Er ist doch abgrundtief b ö se! Und was will er von uns?« Er warf das Messer auf den Tisch und presste die Handballen gegen se i ne erschöpften Augen. »Mein Gott, Stephen. Was ist bloß los mit uns?«
    Danach herrschte Stille in der Küche, weil es da r auf keine Antwort gab.

 
    19
     
    Kurz darauf wünschte ein wortkarger Michael se i nem Bruder gute Nacht und schloss sich in seinem Zimmer ein. Eine noch nie erlebte Müdigkeit hatte ihn überwältigt, und er legte sich sofort ins Bett, knipste das Licht aus und starrte hoch an die Zi m merdecke. Sein Körper war vor Anspannung ganz starr, und er lag unsichtbar in der Dunkelheit, zu m ü de, um sich zu

Weitere Kostenlose Bücher