Drachenglut
bewegte sich langsam abwärts und zur Mitte hin, zum Fen s tergriff.
Das Ding hinter der Scheibe rührte sich mit einem winzigen Ruck. Michaels Hand umschloss wie ge i stesabwesend den Griff.
Dann eine drängende Bewegung hinter dem Glas. Michael griff fester zu und begann zu drehen.
In diesem Augenblick kam Stephen hinter der Tür hervor, schaltete mit einer raschen Bewegung seine Taschenlampe an und r ichtete den Strahl nach vorn, sodass er durch das Zimmer und an Michaels Schu l ter vorbei voll auf das Fenster fiel, hinter dem die dunkle Gestalt kauerte.
Dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.
Der Lichtstrahl schien an dem Glas zu explodieren und sandte verstreute Lichtsplitter zurück ins Zi m mer, Michael schrie auf, mit hochgerecktem Kinn stürzte er vom Fenster zurück ins Zimmer auf den Boden neben sein Bett.
Gleichzeitig schrie jemand vor dem Fenster auf. Eine Sekunde lang sah Stephen den Lichtstrahl auf einem vor Schmerz und Wut verzerrten Fraueng e sicht, dann stürzte es rückwärts in die Nacht. Von unten ertönte ein schwerer Aufprall.
Bis zu diesem Moment war Stephen gar nicht au f gegangen, dass sich eigentlich unmöglich etwas vor einem Fenster im ersten Stock befinden könnte. Er senkte verdutzt die Lampe und sah auf das leere Fe n sterviereck.
Aber wir haben doch gar keine Leiter, dachte er.
Michael lag auf dem Fußboden. Seine Brust hob sich rasselnd und keuchend.
Stephen stieg über ihn hinweg und ging zum Fe n ster, denn in ihm brannte immer noch der Wunsch, das Gesicht des Feindes zu sehen. Der Fenstergriff war bereits umgedreht. Er riss das Fenster auf und sah hinaus, während er seine Lampe nach unten ric h tete. Es gab keine Leiter und keine andere Au f stiegsmöglichkeit zu Michaels Zimmerfenster.
Aber im Kegel seines Lichtstrahls lag ausgeleuc h tet wie auf einer Theaterbühne eine Frau, den linken Arm verdreht unter sich, die sich mit blutendem G e sicht bemühte aufzustehen. Er sah zu, wie sie auf die Füße kam und sich umblickte, den verletzten Arm stützte sie mit der rechten Hand. Von der Seite des Hauses erscholl ein schriller Pfiff. Ohne noch einmal nach oben zu s chauen, humpelte sie schmerzve r krümmt langsam zur Hausecke, von wo der Weg zum Seitentor führte. Während sie aus Stephens Blickfeld verschwand, tropfte wie aus weiter Ferne in seinen Kopf das Wi s sen, wer sie war.
Es war Vanessa Sawcroft, die Bibliothekarin von Fordrace, und mit einer seltsam geschärften Au f merksamkeit für Einzelheiten bemerkte Stephen, dass sie ihr graues Kostüm trug, das sie immer bei der Arbeit anhatte.
Dritter Tag
21
Wachtmeister Joe Vernon trat aus dem Westportal von St. Wyndham und wollte sich gerade seinen Helm wieder aufsetzen, als Tom den Kirchhofspfad heraufgeeilt kam.
»Guten Morgen, Herr Pfarrer. Ich hab mich eben gefragt, wo Sie wohl sind.«
»Oh, Morgen, Joe.« Tom hielt an. »Was kann ich für Sie tun?«
Falls Joe bemerkt hatte, dass der Pfarrer ziemlich erhitzt und außer Atem war oder dass er etwas ung e duldig sprach, ließ er sich das nicht anmerken.
»Ich wollte nur ganz kurz mit Ihnen reden, Herr Pfarrer. Wegen dem, was gestern vorgefallen ist.«
Tom blieb an der Tür stehen. »Ach so. Dauert es lang?«
»Nur ganz kurz, Herr Pfarrer.«
Wachtmeister Vernon nahm seinen Helm ab und klemmte ihn unter den Arm, als wäre er bereit, wi e der die Kirche zu betreten.
Tom nickte. »Aber klar. Kommen Sie rein, Joe.«
Er ging in sein Büro voran und setzte sich an den Schreibtisch, dabei legte er einen braunen Umschlag auf die Postablage.
Der Wachtmeister ließ sich umständlich auf einem Besucherstuhl nieder und blätterte in seinem Noti z buch, als wolle er sich die wichtigsten Fakten ins Gedächtnis rufen. Dann sah er hoch und hob bedäc h tig die Achseln.
»Um ehrlich zu sein, Herr Pfarrer, glaube ich nicht, dass wir in dieser Sache viel weiter kommen. Vielleicht finden wir den Kreuzbalken noch irgen d wo am Straßenrand, aber nur, falls Lausejungen d a hinterstecken – Sie wissen schon, irgendwelche Vandalen. Aber falls es ein Sammler war, jemand, der hinter einem alten Stück Stein her war – wie sol l ten wir den finden? Wir sind z war keine Experten in Sachen gestohlener Kre u ze, ich habe mich darum mit der Abteilung für Ant i quitäten bei Scotland Yard in Verbindung gesetzt, und die sagen auch, man könnte den gestohlenen Kreuzbalken wohl kaum im Ausland verkaufen oder überhaupt verkaufen.«
»Aha«, sagte Tom.
»An
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