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Drachenglut

Titel: Drachenglut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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warum? Weil er jetzt dort ist, wo unsere Gaben uns alle irgendwann hinbringen.«
    »Sie machen uns bewegungslos wie unseren Me i ster«, sagte Vanessa Sawcroft.
    »Das sind die Geschenke des Drachen. Er gibt uns den BLICK, die Flamme, das Fliegen und die Macht über die Gedanken anderer Menschen. Eine Zeit lang können wir sie einsetzen, solange wir uns nicht zu weit vom Wirrim entfernen. Wenn wir weiter als ein paar Meilen wegfahren, werden wir müde, unsere Augen tun weh, Schmerzen quälen unseren Körper und wir sterben.«
    »Das widerfuhr vor zwanzig Jahren einem Mann«, unterbrach Vanessa mit ihrer dünnen, tonlosen Stimme. »Ich besaß damals nicht die Gabe, aber ich kann mich noch gut daran erinnern. Er muss ve r zweifelt gewesen sein, denn er setzte sich in den Nachtzug von Stanbridge nach London. Der hält erst in Paddington.
    Kurz nach der Abfahrt hörten die anderen Pass a giere aus seinem Abteil Tritte und dumpfe Schläge. Sie fanden ihn strampelnd auf dem Boden liegen, die Hände vor den Augen, und wenige Minuten später, als der Zug sich noch weiter vom Wirrim entfernt hatte, starb er.«
    »Woher wissen Sie, dass er den BLICK hatte?«, fragte Michael.
    »Joseph kannte ihn. Wir wissen immer über die andern Bescheid. Dieser Mann war schon älter, in den Fünfzigern, und er verlor langsam die Kraft. Deshalb war die Aussicht auf ein endlos langes A l tern für ihn der Grund auszubrechen. Aber es hat nicht funktioniert.«
    »Sie haben mir noch nicht erzählt, warum Mr Hardraker so ist, wie er ist. Warum kann er nicht … warum können wir nicht sterben wie alle anderen Menschen?«
    Mr Cleever antwortete. »Weil wir mit jedem Tag dem Drachen ähnlicher werden. Wir haben seinen Atem eingeatmet, wir haben seine Gaben, und de s halb verändern wir uns. Und weil er seit Urzeiten schweigend und bewegungslos unter der Erde liegt und weder Nahrung noch Wasser braucht, weder Luft noch Licht, werden auch unsere Seelen einmal so werden. Unsere Kraft verlässt uns, zuerst lan g sam, dann schneller, bis wir mit dem Drachen in en d losem wachen Schweigen vereint werden, nachdem wir einmal durch Genie und Macht mit ihm verbu n den waren.«
    »Wenn das geschieht«, fuhr Vanessa fort, »gibt es keinen Ausweg. Man kann sich nicht einmal mit e i nem Messer töten, weil alle Kraft verschwunden ist. Nur der Verstand lebt weiter, gefangen in seinem Körper, fühlt dort seine Macht, kann sie aber nicht nutzen.«
    »Die meisten Menschen«, sagte Mr Cleever, »b e schließen, ihr Leben zu beenden, bevor sie dieses Stadium erreichen.«
    »Oder unwissende Dummköpfe bringen sie um«, sagte Vanessa.
    »Sie meint die Hexenjagden, aber das ist alles Vergangenheit. Heutzutage geschieht es meistens durch Selbstmord.«
    »Aber nicht bei Mr Hardraker«, sagte Michael.
    »Nein, nicht bei Joseph. Joseph ist etwas Besond e res, musst du wissen. Er war das schon immer, weil er wie du die Gaben sehr jung erhalten hat. Nach dem, was er uns erzählt hat, war er ein ziemlicher Draufgänger und hat die Gaben unklug eingesetzt. Er hatte eine besondere Vorliebe für die zweite, die er nachts in den einsamen Tälern des Wirrim praktizie r te. Tja, da gab es natürlich bald Gerede, wie immer, wenn jemand die zweite Gabe im Freien ausübt. Das führte zu Ärger, und ein Wichtigtuer steckte seine Nase in diese Angelegenheiten, und Joseph musste ihn zum Schweigen bringen, was ihm aber nicht we i ter schwerfiel. Doch das zeigt, wie vorsichtig wir vorgehen müssen. Josephs jugendlicher Leichtsinn brachte ihn – und andere – in Gefahr.«
    »Und seit über hundert Jahren schwelt der Ärger weiter«, fügte Vanessa hinzu. »Erzähl ihm von Wi l lis.«
    »Das ist doch unerheblich, meine Liebe.«
    »Pfarrer Aubrey denkt da anders.«
    »Der ist ebenfalls unwichtig, Vanessa. Wir dürfen den Jungen nicht überstrapazieren.«
    Michael fand das herablassend. »Was hat denn Tom Aubrey damit zu tun?«
    »Willis, dieser Wichtigtuer, der vor hundert Jahren verbrannt ist, hat leider ein paar Vermutungen hinte r lassen, die von einem obskuren Verlag gedruckt wurden. Sie beschäftigen sich mit dem Wirrim und was darunter liegt. Ich fürchte, der gute Herr Pfarrer hat das gelesen und ist nun gegen uns.«
    »Er war schon immer ein Idiot, der sich in alles eingemischt hat«, sagte Michael.
    »Doch wie ich schon gesagt habe, ist das nicht von Bedeutung. Um auf Joseph zurückzukommen – er weigerte sich, vor seinen schwindenden Kräften zu kapitulieren, und ist hier

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