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Drachenglut

Titel: Drachenglut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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erträumen kann: Alle meine Wünsche und Sehnsüchte wurden erfüllt. Aber in all diesen Jahren hat mich eine tief verborgene Angst gequält. Ich habe gewusst, dass mir immer weniger Zeit blieb. Fast täglich habe ich das Nachlassen me i ner Kraft wahrgenommen, wie mein Leben tief innen drin zu faulen begann – wie ein madiger Apfel, der am Baum noch schön glänzt. Ich habe gesehen, was mit Hardraker geschah. Ich kannte unsere auswegl o se Situation, unser schreckliches Schicksal. Aber ich ließ mich nicht unterkriegen! Ich dachte lange und gründlich über das nach, was uns widerfahren war, allen diesen armen, erhabenen, verfluchten Seelen, die während der vielen Jahrhunderte auserwählt wo r d en waren. Und dann habe ich es begriffen. Das Schicksal des Drachen ist unser Schicksal. Wenn wir weiterleben oder vielleicht sogar ewig leben und uns unserer Macht erfreuen wollen, überallhin reisen, wohin wir wollen – dann müssen wir ihn aus seinem Gefängnis unter der Erde befreien. Das ist ganz s i cher der Grund, weshalb wir diese Gaben erhalten haben. Wir haben eine Verpflichtung, die wir erfü l len müssen, und wenn das geschehen ist, werden wir hoch belohnt werden.«
    Mr Cleevers Stimme war immer leiser geworden, bis nur noch ein schwaches Zischen das Zimmer mit verschwörerischer Erregung erfüllte. Sein Gesicht war bloß wenige Zentimeter von Michaels entfernt.
    »Um uns zu befreien«, flüsterte er, »müssen wir den Drachen befreien.«

 
     
    31
     
    Stephen war bei der Flucht aus dem Dorf durch einen Schrebergarten gerannt, den Hügel hoch, zw i schen Spalieren und Bohnenstangen hindurch, bis er im Zaun eine schmale Lücke fand, hinter der das Acke r land begann. Er quetschte sich zwischen den Zau n latten hindurch und warf sich keuchend auf das staubtrockene Gras, linste durch die Lücke zurück zum Mühlenbach, während sein Herz raste und ihm der Schweiß vom Gesicht tropfte. Niemand verfolgte ihn und in seinem Kopf war auch kein seltsames G e fühl mehr.
    Mr Cleever war nicht mehr hinter ihm her.
    Als er wieder genug Luft bekam, stand er auf und lief über das Feld auf eine dicke, struppige Hecke zu. Es ging immer noch bergauf, und er wusste, dass man ihn von den Häusern hinter und unter ihm sehen konnte, aber wenn er erst mal hinter der Hecke war, schützte die ihn vor wachsamen Augen.
    Er erreichte sie ungehindert und lief daran entlang bis zu einem Tor. Auf der anderen Seite erstreckte sich ein riesiges Weizenfeld über den steilen Hüge l hang.
    Stephen kannte sich hier aus wie in seiner Weste n tasche. Hinter den nächsten beiden Feldern – etwa fünfzehn Minuten Fußmarsch entfernt – lag sein Z u hause, und dort war sein Bruder. Er lief los, aber s o fort zwang ihn ein Seitenstechen zu einem langsam e ren Gehen mitten durch das golden glänzende Korn. Als er das Feld halb überquert hatte und das Haus schon sehen konnte, fuhr drüben auf dem Feldweg ein bekanntes Auto mit hoher Geschwindigkeit vo r bei, und da wusste er, dass er zu spät kommen wü r de. Er versuchte erneut zu rennen, aber prompt fing das Seitenstechen wieder an. Er schluchzte vor Ve r zweiflung, denn wie d er war er gezwungen, wie ein verwundeter Vogel hüpfend und hopsend am Rand des Feldes entlangz u stolpern.
    »Tom, du Blödmann, du hast es ihm erzählt!« Er stieß die Worte im Laufen keuchend heraus. »Hättest du nicht auch wegrennen können? Jetzt sitzen wir in der Scheiße, aber wie!«
    Je mehr seine Verzweiflung wuchs, desto länger erschien ihm das Feld. Wie in einem Traum wurden seine Bewegungen neben den endlosen Reihen von Getreidehalmen vor dem großen Hügel oberhalb von ihm immer sinnloser, und da sah er auch das Auto wieder nach Fordrace zurückfahren. Und diesmal war der Fahrer nicht allein, jemand saß neben ihm.
    Stephen erreichte schließlich die Straße direkt u n terhalb des Gasthofs. Ein Mann saß auf einer Bank im Wirtsgarten und trank ein Bier. Er hob fröhlich das Glas.
    »Hallo, mein Kleiner! Mach mal langsam – wo brennt’s denn?«
    Stephen blieb nicht stehen, doch er lächelte so freundlich, wie es mit seinem von Schweiß und Tr ä nen überströmten Gesicht möglich war. Hinter sich hörte er noch ein paar Bemerkungen, aber dann war er auch schon um die Ecke gebogen und sah das Haus vor sich.
    Die Haustür stand offen. Er sah die Asche auf dem Treppenläufer. Er roch den Rauch. Er stieg die Tre p pe hoch, ganz langsam, und ging durch den Flur zu Michaels Zimmer.
    Zuerst dachte er, die

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