DrachenHatz
gedeckten Tisch, sondern ganz bewusst auf einem Sessel der Sitzgruppe. Er folgte mir lächelnd und nahm mir gegenüber Platz.
Ich schätzte ihn auf Ende dreißig, Anfang vierzig, ein zur Korpulenz neigender Mann, der offenkundig nicht zu körperlichen Verausgabungen neigte, unter Unsicherheiten aller Art litt und bestimmt keinen Nagel in die Wand schlagen konnte, ohne sich dabei einen Leistenbruch zuzuziehen. Aber vielleicht las er Gedichte und kannte sich grandios in altelisabethanischer Liebeslyrik aus? Jedenfalls kochte er gern und gut. Hemlokk, mahnte eine innere Stimme, nun mach hinne! Eine Psychiateranalyse kannst du zu Hause auf deiner roten Couch durchführen. »Also, fangen wir an?«, gehorchte ich forsch meinem Selbst.
»Bitte.« Die Verwandlung fand vor meinen Augen statt. Sein Körper straffte sich kaum merklich bei diesem einen Wort, seine weichen Gesichtszüge bekamen Konturen, und sein Hundeblick irrte nicht länger durch den Raum, sondern konzentrierte sich auf mich. Fertig war der Fachmann. Es war beängstigend und beeindruckend zugleich. Ich hatte noch nie einen Menschen derart von jetzt auf gleich in eine beziehungsweise seine Rolle schlüpfen sehen.
»Toll«, entfuhr es mir.
Er tat nicht so, als verstünde er nicht. Er nickte nur, und dafür stieg er in meiner Achtung um etliche Grade. Dann legte ich los. Ich erzählte ihm von Hauke, von Greta, von Patricia Cornwell, meinem Verdacht, dem versalzenen Essen, dem Drachentod des Jungen, der Herkulesstaude, dem Aspirin, der Ratte, den Drohanrufen und der Verwüstung der Wohnung. Und auch das musste man ihm lassen: Er konnte tatsächlich zuhören, und wenn er nachfragte, tat er das äußerst präzise und kompetent.
»Ja«, nickte er schließlich bedächtig, als ich geendet hatte. »Das Krankheitsbild, das du da beschreibst, stimmt. Aber um ein eindeutiges, abschließendes Urteil zu fällen, müsste ich die Frau sehen.«
»Klar«, beruhigte ich ihn. »Aber ich bin nicht an einem Gutachten mit Brief und Siegel interessiert, sondern nur an deiner unverbindlichen fachlichen Meinung. Das hilft mir schon weiter.«
»Nun gut«, meinte er daraufhin immer noch nachdenklich. »Du musst wissen, Menschen mit dem sogenannten Münchhausen-Syndrom leiden unter einer wirklich tiefgreifenden Persönlichkeitsstörung. Ihr Selbstbewusstsein ist minimal. Sie verletzten sich eigenhändig, um Aufmerksamkeit zu erregen, sie wandern dafür von Arzt zu Arzt und ringen mit äußerst geheimnisvollen Krankheiten, die kein Spezialist so leicht erkennen kann. Oder wenn es sich um einen Stellvertreter handelt, laufen sie mit diesem, also in deinem Fall dem Jungen, von Doktor zu Doktor.«
»Und sie wissen dabei wirklich nicht, was sie tun?«, hakte ich misstrauisch nach. »Dass sie das Übel selbst verursachen, meine ich?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Sie erkennen es nicht. Solche Frauen halten sich ehrlich für fürsorgliche Mütter. Es ist eine Krankheit, Hanna. Diese Leute gehören nicht vor einen Richter oder in den Knast, sondern in eine Therapie.« Der Tonfall verriet, dass er diesen Satz wohl schon des Öfteren geäußert hatte.
Trotzdem blickte ich ihn voller Skepsis an. »Könnte ihr denn da geholfen werden?«, schoss ich meine ketzerische Frage ab. »Auf der Couch, meine ich.«
»Man muss es versuchen«, lautete die lakonische Antwort. »Doch ich glaube nicht, dass du die Dame dazu kriegst. Weil solche Menschen eben nicht erkennen, dass sie Hilfe benötigen, begeben sie sich in den meisten Fällen auch nicht freiwillig in eine Therapie.«
»Nach dem Motto: Was soll ausgerechnet ich denn da? Alle anderen spinnen, aber ich doch nicht?«
»Genau. Du sagst es, lediglich in hannatypischer Diktion.« Er lächelte plötzlich. »Und wie sieht es jetzt mit deinen Magensäften aus? Ruhen sie noch, oder wallen sie schon?«
Ich grinste zurück. Ich mochte Axel. Schon allein deshalb, weil er bei Tapas ein wahres Ass war. Außerdem hatte er mir den Gefallen getan, meine Ansicht, was Greta betraf, auf der ganzen Linie zu bestätigen. Wir wechselten zum gedeckten Tisch, und ich fing mit einer umwickelten Dattel an. Köstlich!
»Lebst du allein?«, fragte ich wie nebenbei, alle Vorsicht fahren lassend, während ich unauffällig die Einrichtung beäugte, der jede weibliche Note fehlte. Gemütlich fand ich sie trotzdem.
»Ja«, entgegnete er trocken. »Noch. Aber ich befinde mich auf dem besten Weg zur Zweitehe.« Er grinste erneut. »Führe mich also nicht in
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