DrachenHatz
Versuchung.«
»Könnte ich das denn?«, erkundigte ich mich mehr neugierig als geschmeichelt und keineswegs mit diesem trillernden neckischen Unterton, der einem Dritten unweigerlich die Haare zu Berge stehen lässt.
»Ich glaube schon«, meinte er offenherzig. »Wenn Klara nicht wäre und ich sie nicht zufällig lieben würde … Ich finde dich höchst attraktiv, Hanna Hemlokk. Selbst mit diesem Gesicht.«
»Du stehst auf innere Werte?«, rettete ich mich in die naheliegende Stichelei.
Er ging nicht darauf ein. »Hat diese Frau dich so zugerichtet, Hanna?«
»Nein«, erwiderte ich und log dabei ja nicht einmal.
Er ließ nicht locker. »Aber dein Gesicht hat etwas mit ihr zu tun, oder?«
»Ja«, gab ich zu. »Wahrscheinlich schon. Sie hat vermutlich einen Handlanger, der ihr gehorcht wie ein Hund. Der springt, wenn sie pfeift und die gesamte Drecksarbeit für sie erledigt. Kannst du mir über so jemanden auch etwas erzählen? Was ist das für ein Mensch?«
»Weißt du Näheres, oder vermutest du das alles nur?«
»Na ja …« Ich zögerte.
»Du meinst ihn also zu kennen. Aber ich bin kein Hexer. Mit solchen vagen Angaben komme ich nicht weiter«, murmelte Axel, beugte sich vor und strich ganz zart mit dem rechten Zeigefinger über meine lädierte Wange. »Pass ja gut auf dich auf, Hanna! Versprichst du mir das?«
Ich nickte tugendhaft – schließlich hatte ich das sowieso vor –, er schenkte noch etwas Sekt nach, und zum ersten Mal nach dem Drama in Dänemark ging es mir wieder einigermaßen gut.
Gretas Reaktion auf mein zerschundenes Gesicht war direkter. Sie sah nicht weg, sondern starrte mich entgeistert an, während sie rief: »Ach du Schreck, wie siehst du denn aus, Hanna!? Was ist passiert? Ein Überfall? Ein anderer Mann? Ich meine, Quatsch, nein, das kann natürlich nicht sein, es sei denn …«
»Setz dich doch erst einmal, Greta«, unterbrach ich das wirre Gebrabbel, »dann erkläre ich dir alles.«
Sie war wirklich das makellose Unschuldslamm, wie Axel es prophezeit hatte, oder eine begnadete Schauspielerin von Weltformat. Ein unbedarftes Gemüt hätte ihr die Fassungslosigkeit angesichts meiner nunmehr vornehmlich in Gelb schillernden Visage ohne Wenn und Aber abgenommen.
Ich tat es nicht. Denn nach einem erneuten Zwölfstundenschlaf sah es in meinem Hirn nicht mehr aus wie auf einem mit Kraut und Rüben bepflanzten Acker. Und eine ausgiebige Dusche, drei Becher gesüßten Tees sowie zwei von den leckeren Matulke’schen Croissants weiter gelangte ich bei offenem Fenster und Sonnenschein zu der klaren Erkenntnis: Mein Angreifer könnte durchaus der Holzdieb Rolf Verdoehl gewesen sein, da hatte Harry schon recht. Doch dass meine lädierte Verfassung etwas mit Greta und ihrem geheimnisvollen Unbekannten zu tun hatte, hielt ich nach wie vor für wahrscheinlicher. Da passte einfach mehr zusammen, da stimmten die Gewichtungen. Was wiederum keineswegs gegen beziehungsweise für Rolf Verdoehl sprach. Vielleicht war das zur Schau gestellte angespannte Verhältnis zwischen den beiden nichts als Show? Vielleicht spielten sie uns eine Schmierenkomödie grandiosen Ausmaßes vor? Ich würde jedenfalls das Alibi dieses Mannes sorgfältigst überprüfen. Und das seiner möglichen Auftraggeberin ebenfalls.
Und so hatte ich Greta heute für den Nachmittag zum Showdown bei Kaffee und Kuchen eingeladen. Ich hatte mich für Kopenhagener in der sicheren Annahme entschieden, dass uns beiden nicht nach den Matulke’schen Cremeschnitten sein würde. Sie hatte sich offensichtlich über die Einladung gefreut.
Jetzt sank sie flatternd in meinen Lieblingssessel, und ich beobachtete sie, während das Wasser für den Kaffee heiß wurde. Wirkte diese Frau am Boden zerstört? Vergrämt? Im Innersten verletzt? Ich hatte es automatisch angenommen, weil das die erwartete menschliche Reaktion auf den Tod eines Kindes ist. Doch wenn ich ehrlich war, machte sie inzwischen mit ihren hängenden grauen Haaren sowie dem meist schlaffen Gesichtsausdruck einen eher frustrierten Eindruck auf mich, was ich mittlerweile jedoch gar nicht mehr überraschend fand, da ihr die Opfer ausgegangen waren. Hauke war bereits kalt, und Almuth hatte sich ins Heim geflüchtet.
»Bitte.« Ich goss Kaffee ein und schob Zucker und Milch zu ihr hinüber. Wir nahmen den ersten Schluck. Er war brühend heiß. Dann stellte Greta entschlossen die Tasse ab.
»Also, was ist los, Hanna? Kann ich dir irgendwie helfen?« Es klang ehrlich besorgt und
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