DrachenHatz
Verdächtigungen nicht brauchen, Hanna. Sie kränken und verletzen mich zutiefst.«
Schön. Oder auch nicht.
»Wo warst du am Mittwochabend vergangener Woche, Greta? Hast du ein Alibi?« Ich konnte wirklich ziemlich stur sein, das musste ich mir lassen.
»Ja«, sagte sie, und in ihrer Stimme lag ein Unterton von Häme. »Frag Marga. Ich war bei ihr. Wir haben uns zusammen einen Film angesehen. ›African Queen‹ mit Humphrey Bogart und Katharine Hepburn.«
Ich glaubte ihr. Und trotzdem mache ich nun einmal gern Nägel mit Köpfen. »Wer hat mich dann verprügelt, Greta? Wer ist es, wenn es nicht Thomas war? Wie heißt er? Oder ist es eine Sie? Ich werde deine Mutter fragen.«
»Tu das«, ätzte sie, »vielleicht weiß sie ja mehr als ich. Und wenn sie dir den Namen genannt hat, verrätst du ihn mir, ja? Ich bin wirklich neugierig.«
»Sie hat mehr Einblick, als du denkst, Greta«, versuchte ich es ein letztes Mal mit sanftem Druck.
Sie verzog das Gesicht. »Natürlich. Alle sind klüger als die kleine, brave, dumme Greta. Das war schon immer so.«
»Und es war schon immer falsch, nicht?«
Fast hätte sie zugestimmt, und ich bemerkte das triumphierende Glitzern in ihren Augen deutlich. Doch dann senkte sie rasch den Kopf, und als sie ihn wieder hob, brannte kein inneres Feuer mehr in ihnen. »Geh zu meiner Mutter, wenn du das brauchst. Ich habe nichts dagegen.«
»Oh, vielen Dank auch.«
»Du kannst dir deinen Sarkasmus sparen, Hanna. Bei dir muss sich alles immer um dich drehen, nicht? Einzelkindsyndrom nenne ich so etwas. Das ist ja bekannt. Bist du schon einmal auf die Idee gekommen, dass dein Angreifer sich in der Person geirrt haben könnte? Dass du gar nicht gemeint warst, sondern jemand anders?«
»Nein«, gab ich wahrheitsgemäß zu.
»Das dachte ich mir«, meinte Greta geradezu widerwärtig zufrieden, öffnete die Tür und zog sie hinter sich ins Schloss.
Augenblicklich sank ich völlig erschöpft auf die Couch. Der Kaffee war inzwischen kalt geworden, doch ich war zu müde, um mir einen neuen zu kochen. Hatte Greta etwa recht? War ich lediglich eifersüchtig auf sie und vermutete hinter jedem Grashalm ein Gespenst?
Ein Donnerschlag ließ mich hochfahren. Gleichzeitig fing es wie aus Eimern an zu schütten. Vorsichtig betastete ich meine Wange. Nein, ein Geist hatte dort sicher nicht hingelangt, sondern eine ganz und gar irdische Hand, deren Besitzer sehr genau wusste, wen sie traf. Greta selbst konnte ich allerdings als Täterin in diesem ganz speziellen Fall ausschließen. An Marga als Alibi war nicht zu rütteln.
Es blieb also der Große Unbekannte.
Thomas? Auch wenn Greta es vehement abstritt, fand ich es nur sinnvoll, mit der schlimmsten Vorstellung anzufangen. Wohl zum eintausendsten Mal sagte ich mir, dass ich ihn erkannt hätte, wenn er es gewesen wäre. Ich wusste, wie der Mann roch, ich wusste, wie der Mann sich bewegte. Ich kannte seine Stimme, seinen Körper. Und ich wusste doch auch, dass er mich … mochte. Oder? Es war wirklich zum Verzweifeln.
Dagegen ließ sich der Verdacht gegen Rolf Verdoehl geradezu federleicht ertragen – ob der nun aus eigenem Antrieb gehandelt hatte, weil er mich bei seiner Holzklauerei erkannt hatte, oder ob er in Gretas Auftrag prügelte. Mir war es egal. Der verhinderte Tycoon blieb mein Favorit. Denn dass mein Angreifer sich bei mir in der Person geirrt hatte, wie Greta unterstellte, war purer Quatsch. Der hatte mich, Hanna Hertha Hemlokk, gemeint und niemand anderen.
Ein Blitz krachte nicht weit von mir in einen Baum. Es knallte heftig, doch ich blieb sitzen und dachte angestrengt weiter nach.
Und wenn ich nun den Wald vor lauter Bäumen nicht sah, weil ich mich lediglich auf diese beiden Männer konzentrierte? Die Möglichkeit, dass weder Thomas noch Rolf der Gesuchte war, konnte jedenfalls nicht völlig von der Hand gewiesen werden. Denn wie stand es um Frieder Gallwitz, der anderen so gern beim Leiden zuschaute? Was war mit dem netten Arthur, der aus seiner Zuneigung zu Greta keinen Hehl machte? Oder existierte da etwa noch ein unbekannter armer Hund von Mann, mit dem sie sich heimlich traf und den niemand kannte? Unsere Greta gehörte schließlich zu den sehr stillen, sehr tiefen Gewässern, die nur auf den ersten Blick klar bis auf den Grund erscheinen.
Ich beschloss, während ich fasziniert die Blitze über dem See beobachtete, gleich morgen mit Almuth Pomerenke Tacheles zu reden. Über den kleinen Hauke, über ihre kranke Tochter,
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