DrachenHatz
vollends verflogen.
»Macht nichts«, meinte Harry großzügig. »Hemlokk ist genauso ein Beobachtungsass. Die beschreibt dir jeden Täter in Nullkommanichts dermaßen exakt, dass es für jedes Fahndungsplakat taugt. Hat er dich eigentlich gesehen?«
»Wer?«, fragte ich verständnislos.
»Der Holzdieb.«
»Nein, bestimmt nicht. Es war ja stockdunkel. Und wenn er nicht mit einem Nachtsichtgerät arbeitet …«
Harry pfiff durch die Zähne, was immer ein Zeichen dafür war, dass ihn etwas umtrieb. »Hemlokk«, fragte er auch schon eindringlich, »bist du dir da wirklich ganz sicher?«
»Ja. Natürlich.« Was sollte das denn jetzt? Auf was wollte der Gierke hinaus? Ich war entschieden verwirrt.
»Ich denke nur«, erklärte Harry bedächtig, »wenn er nun die Lage vorher zu Fuß gepeilt hat, dann hättest du ihn kaum bemerkt, oder?«
»Nein«, gab ich zurück. »Aber wenn er mich gesehen hat, wäre es doch ziemlich dumm von ihm, dann noch mit dem Auto vorzufahren. Außerdem saß ich ziemlich gut getarnt hinter dem Treckerreifen.« Manchmal stand Harry Gierke wirklich auf der Leitung.
»Trotzdem ergibt das alles keinen Sinn«, beteiligte sich jetzt auch Johannes an dieser merkwürdigen Diskussion. »Es sei denn –«
»– man dreht die Sache um«, assistierte Marga.
Ich verstand mittlerweile nur noch Bahnhof. Harry, Johannes und Marga grinsten. Den Dreien ging es eindeutig blendend in diesem Moment. »Keine Ahnung, was wir meinen?«, giggelte sie.
»Nein«, gab ich ungeduldig zu. »Aber vielleicht –«
»Pass auf.« Johannes hatte sich aufgesetzt. »Der Holzdieb fuhr in Panik davon, als er das Telefon hörte.«
»Das sagte ich bereits.«
»Ja«, meinte Marga, »aber dann stellte er, als er außer Sicht war, den Wagen ab und kam zurück. Und da hat er dich erspäht, und du hast es nicht gemerkt.«
»Und wieso sollte er so etwas tun?«, fragte ich naiv.
Harry verkniff sich nur mit Mühe ein verständnisloses Kopfschütteln. Stattdessen erklärte er mir äußerst geduldig: »Weil er wissen wollte, wer ihm da aufgelauert hat, natürlich, Hemlokk.«
»Ach so«, sagte ich dümmlich. Ich war wirklich alles andere als fit.
»Du bist doch nicht gleich fortgegangen, als er abgezischt war?«, fragte Johannes.
»Nein«, musste ich einräumen. Eine halbe Stunde hatte ich bestimmt noch am Treckerreifen gelehnt und mit Thomas telefoniert.
»Siehst du«, schnurrte Harry, zufrieden wie ein Kater beim Anblick eines saftigen Mäuschens, »er kann dich also durchaus erkannt haben,« – Kunstpause – »was auf die Person deines dänischen Angreifers ein ganz neues Licht wirft, nicht wahr?«
»Du siehst einfach umwerfend aus, Hanna!«
»Eher umgeworfen«, korrigierte ich lässig. Hatte der Mann etwa Tomaten auf den Augen? Ich schillerte schließlich in allen Regenbogenfarben. »Hallo, Axel. Danke, dass du Zeit für mich erübrigen konntest.« Kühl, beherrscht und sachlich, Hemlokk, und zwar von Anfang an, obwohl es mir heute erst gegen drei Uhr morgens gelungen war, in einen Schlaf zu fallen, der das Prädikat erholsam nicht verdiente. Thomas geisterte als lachender Holzdieb durch meine Träume, und Rolf Verdoehls Gesichtsmaske löste sich auf, während er mich hingebungsvoll verprügelte. Neben uns lief der Fernseher, irgendjemand schrie auf Dänisch, und ich schoss kurz hoch, weil eine Frau hallend im Takt nieste. Danach betraten Frieder Gallwitz und Almuth Pomerenkes Zivi den Schauplatz, beide mit äußerst grimmigen Gesichtern sowie zwei riesigen Lenkdrachen bewaffnet. Ich wachte mit Herzrasen und schweißfeuchtem Rücken auf. Das war so gegen fünf Uhr dreißig gewesen.
Axel Vondram wohnte in Barsbek, in einer Vierzimmerwohnung unterm Dach mit Balkon und einer tollen Aussicht über die umliegenden Felder. Ich hatte die angegebene Adresse sofort gefunden. Ein flüchtiger Blick in Richtung Esstisch enthüllte, dass er für zwei gedeckt hatte. Mit Kerzen, Blümchen und Sektgläsern. Und Tapas hatte er für eine ganze Kompanie bereitet. Datteln mit Speck erspähte ich, Garnelen in Knoblauchsoße, Kartoffeln mit Rosmarin, eingelegten Schafskäse, marinierte Artischockenherzen.
»Axel«, hörte ich mich schwach murmeln, »es ist ein Geschäftsbesuch, nichts weiter. Mach dir keine Hoffnungen.«
»Das kann ja sein«, erwiderte er diplomatisch, »aber auch Dienstbesprechungen müssen nicht unbedingt mit leerem Magen durchgeführt werden. Nun setz dich doch erst einmal.«
Das tat ich. Und zwar nicht am
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