Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
DrachenHatz

DrachenHatz

Titel: DrachenHatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ute Haese
Vom Netzwerk:
Ermittlungsansatz zu sein, denn wenn ich mich angesichts der furchtbaren Nachricht tief betroffen und ziemlich durcheinander zeigte, würde man bei einem etwas seltsamen Gehabe meinerseits – abseitige Fragen inklusive – nicht so leicht Verdacht schöpfen, sondern auf einen veritablen Schock tippen.
    Also marschierte ich mit einem freundlich-entspannten Lächeln auf den Lippen sowie einem zentimeterdick zugepuderten Gesicht auf Frau Pomerenkes Tür zu, nickte hier und da jemandem zu und hoffte dabei inständig, dass Fabian Dienst hatte. Der Junge gehörte zweifellos zu der aufgeweckten Sorte. Wenn also gestern etwas auch nur in Ansätzen Ungewöhnliches vorgefallen war, wäre das diesem Blitzmerker sicherlich aufgefallen.
    Doch für den ersten Eindruck tat es natürlich auch jeder andere. Also verlangsamte ich in Sichtweite der Zimmertür unauffällig meinen Schritt, um einer emsigen Schwester die Möglichkeit zu geben, mit ihrem fahrbaren Essenswagen noch ein bisschen dichter an mich heranzukommen. Erst als wir uns fast auf gleicher Höhe befanden, grüßte ich gut gelaunt und verharrte demonstrativ vor der Nummer sieben.
    »Da können Sie nicht hinein«, beschied sie mich nicht eben freundlich. Müde sah sie aus; tiefe dunkle Ringe verliehen den Augen noch zusätzlich etwas Melancholisches, und die Furchen um den Mund, gegen die der Grand Canyon zu einer flachen Rinne mutierte, verrieten, dass sie nicht mehr zur werberelevanten Gruppe der hippen Dreißiger gehörte. Wahrscheinlich war sie seit fünf oder sechs Uhr heute Morgen im Einsatz, wusch, wickelte, fütterte, bestückte Pillendosen wie Infusionsflaschen im Akkord und sehnte nichts so sehr herbei wie ihren Feierabend, um die in dieser Schicht erschuftete Knete zu zählen und anschließend mit Fug und Recht in Tränen auszubrechen.
    »Aber wieso denn nicht?«, zwitscherte ich, ganz die harmlose Unschuld vom Lande gebend. Ein bisschen gemein kam ich mir angesichts ihrer sichtbaren Erschöpfung schon vor, doch es half nichts. Dienst ist schließlich Dienst, und das gilt nicht nur für Pflegepersonal. »Ach so, klar«, fuhr ich deshalb fort, »Frau Pomerenke ist im Speisesaal, na, da werde ich eben in der Halle warten, bis sie fertig ist.«
    Schweigen. Dann ein lang gezogenes »Oooh«.
    »Bitte?«, erkundigte ich mich freundlich. Mein Gegenüber rückte den Essenswagen dicht an die Wand und rang die Hände. Ich beneidete sie nicht. Denn gleichgültig, wie oft man schon eine Todesnachricht überbracht hat, es ist und bleibt schwer. »Es tut mir leid«, flüsterte sie linkisch.
    »Aber das macht doch nichts«, versicherte ich ihr fröhlich, denn je unbedarfter ich mich präsentierte, desto größer war die Fallhöhe, wenn ich es erfuhr – und desto konfuser konnte ich mich geben. »So lange wird das ja nicht dauern. Und ich hätte schließlich selbst daran denken können, nicht wahr?«
    »Das ist es nicht«, raunte sie. »Frau Pomerenke ist gestern … also … völlig überraschend … heimgegangen. Es tut mir so leid.«
    Ich hasse dieses Wort, weil es einfach nur verschleiert, übertüncht und die Wucht des Todes verniedlicht. Gestorben ist gestorben und tot ist tot. Basta! Danach kann man sich ja meinetwegen noch darüber austauschen, ob man den »Entschlafenen« im Paradies, in der Hölle oder ganz allgemein im Orbit wähnt.
    »Ausgezogen?«, trieb ich meine Ahnungslosigkeit daher auf die Spitze.
    Die Schwester errötete bis unter die Haarwurzeln. Derart schwer von Begriff waren sonst wohl nur wenige. »Es tut mir leid«, begann sie nun schon zum dritten Mal, und ich begann langsam mit den Zähnen zu knirschen, »aber Frau Pomerenke ist gestern gestorben. Sie ist tot.«
    Na also, ging doch. »Nein!«, rief ich geschockt und griffelte wankend nach dem durchgehenden breiten Handlauf. »Das glaube ich nicht!«
    Daraufhin nahm sie fürsorglich meinen Arm und stützte mich. »Kommen Sie. Sie müssen sich einen Moment setzen. Es ist ein Schock, ich weiß. Das war es für uns alle auch.«
    Ach ja? »Aber sie war doch das letzte Mal noch … noch … so lebendig«, stammelte ich fassungslos, während ich von der Schwester in ein mehr als schlichtes Zimmer bugsiert wurde: Tisch, drei Stühle, Regal mit Kaffeemaschine, ein Alpenveilchen. Und alles, bis auf die beiden letzten Teile, in weißem Resopal.
    »Das geschieht manchmal«, murmelte meine Begleiterin jetzt mit watteweicher Stimme. »Einfach so. Aus heiterem Himmel. Dann ist man wie vor den Kopf

Weitere Kostenlose Bücher