DrachenHatz
Und da saß sie in ihrem Sessel und sah ganz friedlich aus. Ich habe keine Spuren von Gewalt entdeckt. Aber ich habe auch nicht genau hingeschaut«, setzte er schamhaft hinzu.
»Das ist ganz natürlich«, sagte ich leichthin. »Sie haben sicher nur daran gedacht, Hilfe zu holen.«
»Ja, genau.« Er war sichtlich erleichtert, vor einem weiblichen Philip Marlowe nicht als feige dazustehen. Ich verstand ihn gut, denn wenn ich ehrlich war, glaubte ich nicht, dass sich die toughe Privatdetektivin Hanna Hemlokk an seiner Stelle zu einer gründlichen Untersuchung der Leiche durchgerungen hätte. Trotzdem versuchte ich es unverdrossen weiter.
»Sie haben keine Fusseln an Mund und Nase bemerkt?«
Er war nicht dumm. »Mit einem Kissen erstickt, meinen Sie? Aber dann hätte sie sich doch gewehrt. Und es lag alles an seinem Platz, das kann ich beschwören. Da war nichts verlegt, verrutscht oder umgeschmissen.«
Ich glaubte ihm. »Hatte Frau Pomerenke gestern Besuch?«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Gestern hatten wir eine recht hektische Schicht, und da achtet man nicht auf so etwas.«
»Schon klar, Fabian, aber denken Sie noch ein bisschen länger darüber nach«, bat ich. »Lassen Sie sich Zeit. Hat Frau Pomerenke vielleicht jemanden erwähnt?«
Er starrte konzentriert auf meine leere Tasse. »Nein. Ich kann mich nicht erinnern«, flüsterte er nach Weile. »Und gesehen habe ich auch niemanden.«
Ich unterdrückte einen Seufzer und überlegte einen Moment ernsthaft, ob ich mich an die Tür stellen und sie unauffällig zuhalten sollte, denn was nun kam, war wirklich ein bisschen heikel.
Ich lächelte mein Gegenüber freundlich-verschwörerisch an, wie ich hoffte, bevor ich mich mit gesenkter Stimme an ihn wandte: »Kann ich auf Sie zählen, Fabian?« Ein klitzekleines bisschen zwackte mein Gewissen, weil er so naiv und so unschuldig war.
»Was soll ich denn machen?«, erkundigte er sich in demselben Ton. Prima, er hatte angebissen. Ich beugte mich vor.
»Ich muss in das Zimmer, um mich dort einmal gründlich umzuschauen. Können Sie mir unauffällig den Schlüssel besorgen?«
»Ich habe einen Generalschlüssel. Aber –«
»Es dauert auch nicht lange. Und wenn Sie wollen, können Sie mit hineinkommen«, lockte ich ihn.
Er rang mit sich. Allerdings nur kurz. Dann stand er auf. »Also gut. Wenn sie wirklich ermordet wurde, soll derjenige nicht frei herumlaufen dürfen. Ich habe sie nämlich wirklich gemocht. Kommen Sie!«
Wir huschten in Almuth Pomerenkes Zimmer, und ich begann mich voller Neugier umzusehen, während Fabian nervös von einem Fuß auf den anderen trat. Es sah tatsächlich alles so aus wie bei meinem letzten Besuch. Das Bett war ordentlich gemacht, das Kissen im Sessel zerdrückt von ihrem Körper. Auf dem Tisch lag lediglich die Fernbedienung, und auf der Kommode thronte das Muschelkästchen neben dem übrigen Nippes wie gehabt in voller Scheußlichkeit. Ich öffnete die Schranktür. Schuhe, Röcke, Mäntel, Blusen. Nichts Auffälliges. Ich zog Schublade für Schublade heraus. Unterhosen, BHs, Hemden und Nachtgewänder mit viel Spitze am Ausschnitt. Nein, da war nichts, oder ich übersah etwas.
»Ich muss gleich im Aufenthaltsraum sein. Der Liedkreis fängt an.«
»Sind Sie der Vorsinger?«, versuchte ich die Spannung ein wenig zu entschärfen, während ich mich der Kommode widmete. Telefonbuch, Papiere, ihr Pass mit einem Foto, auf dem ich sie niemals erkannt hätte. Ich öffnete die rechte Tür.
»So in etwa. Bitte beeilen Sie sich.«
Die Cognacflasche stand ganz vorn. Sechs Gläser dahinter, was ich ungemein rührend fand, denn in einem Zimmer wie diesem kam ein halbes Dutzend Leute ja schon einer Horde gleich.
»Hat sie Ihnen auch manchmal von dem guten Cognac eingeschenkt?«, fragte ich Fabian.
Er trat näher und grinste flüchtig. »Nein«, meinte er dann. »Sie hielt mich für zu jung für so etwas. In meinem Alter sei Orangensaft zweifellos das bessere Getränk, hat sie immer gesagt. Außerdem mag ich keine harten Sachen.«
Fast wäre mir ein durchaus ernst gemeintes »braver Junge« entfleucht, denn bei den heutigen Saufgewohnheiten der Jugend war so eine Haltung ja beileibe nicht mehr selbstverständlich. Sinnend schaute er eine ganze Weile auf die Flasche, während ich stumm weiterkramte. Ein Fotoalbum, das das gesamte Pomerenke’sche Leben seit den späten Vierzigerjahren enthielt. Greta als Kleinkind, Greta als Schulkind, die erwachsene Greta mit einem
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