DrachenHatz
klagte nie und war doch voller Verständnis für die Probleme anderer.«
Greta sagte jetzt etwas zu Thomas, dann zu Arthur. Beide Männer nickten ernst.
»Als ich meinen Vater zu mir nahm, um ihn zu pflegen, da hat sie noch gemeint … Wissen Sie, ich höre das noch ganz genau. Charlotte, hat sie mich gewarnt, weißt du eigentlich, was du tust? Alte Menschen können die Pest sein. Sicher, habe ich geantwortet, aber du und mein Vater, ihr seid lieb und daher –«
Die Worte prasselten so gleichmäßig auf mich herab wie ein herbstlicher Nieselregen. Daher half es nichts. »Tja, die alte Almuth ist eben total fit ins Grab gefahren«, unterbrach ich sie roh. »So lautet doch heutzutage die Devise.«
Die Verhuschte keuchte entsetzt, bevor sie sich zu einem fassungslosen »Bitte?« durchrang.
»Ach nichts«, erwiderte ich nonchalant. »Ich musste nur eben an meine alte Tante Sonja denken, die damit immer ihre Scherze treibt.«
Ich habe keine Tante Sonja. Aber ich wollte das Frauchen um jeden Preis aus dem Weg haben, bevor ich mit Greta zum Waffengang antrat. Und da half nur brutale Gewalt, sonst würde Charlotte mich garantiert noch einschwallen, bis ich stramm auf die Hundert zuging. Und außerdem stimmt es doch, beruhigte ich mein zwackendes Gewissen, als ich ihr verstörtes Gesicht sah: Wer etwas auf sich hält, sollte möglichst rummsgesund in die Kiste kippen, denn nur ein derartiger Abgang sichert die dankbare Anerkennung der Hinterbliebenen.
Was dann kam, überraschte mich so sehr, dass ich völlig wehrlos war.
»Es ist schön, dass du meiner Mutter trotz allem, was war, die letzte Ehre erweist, Hanna.« Greta gelang ein mild-trauriges Lächeln von einer solchen Perfektion, dass mir die Luft wegblieb. »Sie hat dich gemocht«, fuhr sie mit schwankender Stimme fort. »Das hat sie mir erzählt. Und deshalb möchte ich dir gern das hier als Erinnerung an sie geben.« Sie klang so tapfer, so gefasst und so verdammt zugewandt-verzeihend, dass mir auf der Stelle schlecht wurde.
Im Saal war es jetzt totenstill geworden. Alle beobachteten uns.
»Nimm sie, Mutti zuliebe, ich bitte dich.«
Und mit diesen Worten hielt sie mir die noch zu einem Drittel gefüllte Cognacflasche hin, die ich völlig verdattert entgegennahm, als handelte es sich dabei um das Turiner Grabtuch höchstselbst.
XIX
Ich gestehe, ich, Hanna Hertha Hemlokk – Tränenfee im Brotberuf und Privatdetektivin aus Leidenschaft – war komplett ratlos, was diese Liebesgabe betraf. Wollte Greta mich etwa vor allen in meiner Engstirnigkeit vorführen und ihre Großmütigkeit und Gabe zum Verzeihen dagegensetzen? Seht her, wie grundgut ich bin, auch wenn die dämliche Hemlokk mir zutiefst Unrecht tut? Doch wer wusste eigentlich von meinem Verdacht gegen sie? Thomas natürlich und Arthur, der Rest ahnte jedoch nichts, es sei denn, Greta hatte vor der Beerdigung noch einen Rundbrief entsprechenden Inhalts losgelassen. Hatte sie nicht, schon klar.
Aber was die Rollen der beiden Männer in dem ganzen Drama anging, war ich ehrlich gesagt immer noch nicht viel schlauer, was auch daran liegen mochte, dass Marga vehement für Bebensee und Harry ebenso entschieden für Thomas als Gretas mordenden und schlagenden Helfer plädierte. Eines hatten die beiden allerdings immerhin gemeinsam: Ihre Argumente waren bei ruhiger Überlegung alles andere als stichhaltig.
Marga und ich hatten die Thematik bereits lang und breit auf der Rückfahrt von Karby nach Bokau erörtert. Das heißt, sie hatte mir auf der Höhe des Ferienzentrums Damp mitgeteilt, dass man es, wenn man auch nur mit einem Hauch von Sensibilität gesegnet sei, geradezu spüre, dass zwischen Greta und Arthur wieder etwas laufe. Da seien so Schwingungen zwischen den beiden in der Luft gewesen, erläuterte sie mir gestenreich, als wir durch Eckernförde fuhren, die eigentlich jedes feinfühlige Gemüt hätte wahrnehmen können. Ich setzte schon zu einer scharfen Erwiderung an – auf Schwingungen jedweder Art reagiere ich seit meinem letzten Fall ziemlich allergisch –, als sie hastig versicherte, mich habe sie damit selbstverständlich nicht gemeint, weil ich natürlich in dem Moment auf ganz andere Sachen geachtet hätte.
Das mochte ja sein, doch wenn es zwischen Greta und ihrem Ex Nummer eins tatsächlich dermaßen geknistert hatte, wie Marga behauptete, hätte ich es merken sollen und müssen. Ich durchforstete nochmals angestrengt meine Erinnerung. Nein, da war einfach nichts gewesen,
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