Drachenkaiser
sich für die Treppe nach oben und gelangte in einen weiteren Gang mit zahlreichen Türen; eine davon war angelehnt.
»Hubert, haben Sie alles?«, hörte sie Voss von dort sagen. Dem Klang der Schritte nach kam er auf den Ausgang zu.
Schnell öffnete sie die Tür unmittelbar neben sich, drückte sich in den dunklen Raum dahinter und wartete ab.
»Sehr wohl, der Herr. Alles ist vorbereitet«, gab Hubert Antwort. »Ich habe den Männern gesagt, dass sie den Wagen an der Auffahrt kontrollieren sollen.«
»Gut. Schalten Sie jetzt die Lichter ein. Ich bin im Garten.«
Schuhsohlen trafen auf den gefliesten Boden, dann sah Silena ihn vorbeilaufen. Er trug jetzt einen hellgrünen Kimono mit einer weißen Schärpe über der rechten Schulter; auf seinem Kopf saß ein hoher Hut aus durchsichtigem Garn, an den Füßen steckten Schnabelschuhe. Er ging zur Hintertür und öffnete sie.
Sieht nach einer Zeremonie aus. Sie hörte das leise Summen, das Deckenlicht im Gang flackerte und wurde schwächer. Im Garten flammten dafür unzählige Lampions in den Bäumen auf. Was wird das für ein Ritual?
Silena pirschte sich hinaus, kroch in den Schutz eines Gebüschs.
Voss stand am Rand einer freien Fläche, hatte die Hände in die Ärmel des Kimonos versenkt und sah in den Himmel.
Er wartet auf einen Drachen. Silena schaute über die Schulter zur Villa. Wenn Fayence das mitbekommt…
Heftiger Wind brachte die Äste und Zweige zum Schwanken. Die bunten Lampen hüpften, tanzten, als freuten sie sich über die Ankunft des Gastes, der sich aus den Wolken zu ihnen herabließ.
Silenas Amulett leuchtete grell auf. Schnell umfasste sie es mit der Hand.
Ein asiatischer Drache mit goldenen Schuppen glitt spielerisch wirbelnd auf die Lichtung nieder und tat einen letzten Schlag mit den filigranen Schwingen, um das Aufsetzen auf die Erde weich abzufangen. Die orangefarbenen Augen richteten sich auf den Mann.
Voss neigte das Haupt vor ihm. »Läozi Nie-Lung«, rief er. »Euer ergebener Diener erwartet Euch bereits.«
13. Januar, York, Grafschaft Yorkshire, im Nordosten des Königreichs Großbritannien
Ealwhina strich durch die Shambles wie ein nervöses, aufgeregtes Raubtier. Sie hatte es nicht gewagt, ins Golden Fleece zu gehen.
Sie wusste, dass zumindest die Männer des Zaren auf sie warten würden; und dass der Chinese wiederum für jemand ganz anderen arbeitete, lag auf der Hand. Dann war da noch der kobaltblaue Wasserdrache, der Auftraggeber von De Bercy, Vlad und Piotr, der auch die Kugel haben wollte. Er verfügte sicherlich über weitere Getreue.
Sie hatte mit Thomas, dem Wirt, telefoniert und sich von ihm durchgeben lassen, welche fremden Gesichter sich im Pub aufhielten. »Jeden Tag andere«, hatte die Antwort gelautet. So hatte sie es immer wieder verschoben, ihre Stammkneipe aufzusuchen. Und sie war von einem Freund gewarnt worden, dass mehrere Ausländer sich nach ihr erkundigt hätten. Darunter auch ein sehr großer Chinese.
Dann sind ja meine Jäger versammelt, dachte sie verbittert. Aber das Band aus Ektoplasma, das sie mit York verband, verlangte von ihr, dass sie ins Golden Fleece ging. Es gab keinen Ausweg. Die Löwen warteten darauf, dass das Lamm in die Arena getrieben wurde.
Ealwhina trug die Kugel bei sich. Noch immer fühlte es sich an, als sauge das Artefakt an ihrer Kraft, aber da sie sich in York befand, ging dies wenigstens nicht mit einer verfluchten Schwächung einher. Ich werde sie nicht freiwillig hergehen.
»Lady Snickelway«, sagte ein Mann hinter ihr. »Endlich habe ich Sie gefunden!«
Sie drehte sich um und machte einen Schritt zur Seite, um näher an einen Hackklotz zu kommen, in dem ein Messer und ein Beil steckten. Das Gute an den Shambles war, dass man die Waffen überall greifen konnte.
Anstatt sich dem Chinesen oder einem anderen ihrer Verfolger gegenüberzusehen, blickte sie ihrem alten Bekannten Sir Shamus in die Augen. Wie immer trug er seine Edelmanngarderobe, die aus dem letzten Jahrhundert stammte und die ihn sehr auffällig machte. Doch er mochte die Kleidung und konnte sie auch nicht wechseln.
»Oh, Sie haben mich erschreckt«, sagte sie erleichtert und legte die Hand an die Brust.
»Das tut mir leid.« Er tippte sich mit dem Gehstock an die Hutkrempe. »Ich habe Sie schon lange nicht mehr gesehen. Waren Sie auf Reisen?«
»Ja. Ein bisschen auf dem Festland«, gab sie lächelnd zurück. »Aber ich bin sehr froh, wieder hier zu sein.«
»Sie sehen strapaziert aus, Mylady«,
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