Drachenkaiser
endete.
»Viel zu schnell«, murmelte sie und sah den Verkäufer an, der sich an die Regalwand hinter ihm drückte. Ealwhina machte einen Schritt auf ihn zu und hob die Klingen. »Da ist noch einer!«, sagte sie zu ihm und lächelte fein. Doch ein Blick in die entsetzten Augen des Mannes brachte ihre brennende Mordlust auf unerklärliche Weise zum Erlöschen. ein Blick in die entsetzten Augen des Mannes brachte ihre brennende Mordlust auf unerklärliche Weise zum Erlöschen.
Sie drückte den blutigen Messerrücken senkrecht gegen die Lippen als Zeichen für ihn, nicht zu schreien, woraufhin er mit weit aufgerissenen Augen nickte.
Ealwhina ließ die Klingen fallen, wischte sich über den Mund und fühlte sich schlagartig wie ernüchtert. Nachdenklich betrachtete sie die Seelen der abgeschlachteten Russen, von denen zwei auf der Erde blieben. »Willkommen in eurer Hölle«, sagte sie und lief aus dem Laden. Aus den Augenwinkeln registrierte sie die Bobbies, die aus einer Straße einbogen, und sie lief langsamer, um keine weitere Aufmerksamkeit zu erregen.
Das Minster lag vor ihr, jenes altehrwürdige Gebäude, das eine Bauzeit von zweihundertfünfzig Jahren bis zu seiner Fertigstellung benötigt hatte. Sie blickte hinauf zum höchsten Turm. Von da oben wollte sie wirken.
Wie immer sah sie die vier verfluchten Seelen, die als leuchtendes Abbild ihrer menschlichen Hülle um die Mauern strichen: zwei Priester, ein Kind und eine junge Frau. Die Menschen waren hier ums Leben gekommen und hofften auf Erlösung von ihrer Gefangenschaft auf Erden, die sie sich zu einem großen Teil ihren eigenen Taten zu Lebzeiten zuzuschreiben hatten.
In mir bebt alles. Ealwhina spürte, dass in ihr eine starke Energie floss.
Das bemerkten auch die vier Seelen. Sie wandten sich ihr zu, kamen neugierig näher und bedrängten sie stumm.
»Geht und lasst mich durch«, befahl sie ihnen. Sie wunderte sich über ihre herrschaftliche Stimme, die Autorität verströmte und die Geister in der Tat zurücktrieb. »Bald wird es uns allen besser ergehen.« Die Seelen zogen sich fügsam zurück, sie schritt zwischen ihnen hindurch.
Ihre Aufregung stieg, als sie in das Innere der langen Kirche trat. Die eindrucksvollen, riesigen Fensterfronten sorgten für ein geheimnisvolles Licht im gesamten Gotteshaus.
Das Minster war bekannt für seine Glaskunst. Westfenster, Jesse-Fenster, Glockengießer-Fenster, Saint-William-Fenster, Saint-Cuthbert-Fenster und Rosenfenster sorgten dafür, dass Neulinge niemals wussten, wohin sie zuerst blicken sollten. Sie war schon so oft hier gewesen, und immer noch nahmen sie die Bilder und Ornamente gefangen, sodass sie sich in ihrer Betrachtung verlor.
Die Zeit schien mit ihrem Eintreten langsamer zu verlaufen, Ruhe breitete sich nach den vergangenen aufregenden Minuten in ihr aus.
Eahlwhina sah Betende, die auf den Bänken saßen und mit gefalteten Händen Zwiesprache mit Gott suchten. Auch Besucher bewegten sich im Minster umher, bestaunten die Pracht der gotischen Baukunst.
Wenn es mir helfen würde, würde ich auf der Stelle beten. Sie seufzte und schlenderte regelrecht durch die Kirche. Auf dem Weg zum Aufgang in den höchsten der drei Türme sah Ealwhina zu ihrem Lieblingsfenster, dem Five-Sisters-Window, dem Fenster der Fünf Schwestern. Es bestand aus fünf lang gestreckten Lanzettfenstern, viele Meter hoch und sehr schmal. Das mittlere gefiel ihr am besten. Es zeigte im untersten Feld Daniel in der Löwengrube.
Genau so fühle ich mich. Aber nicht mehr lange. Ich werde den Löwen ihren Grund nehmen, mich jagen zu wollen. Ealwhina erinnerte sich daran, dass das an Handarbeiten erinnernde Ornament den Schriftsteller Charles Dickens inspiriert hatte. Hatte er es nicht in seinem Roman Nicholas Nickleby eingebaut.
Sie stieg bedächtig die Stufen hinauf, während sich in ihr die Kraft staute und aufzutürmen schien. Es war ein Druck, der sich unter ihrer Haut aufbaute und schmerzhaft wurde. Das Artefakt erwärmte sich, die Hitze nahm sie durch die Kleider hindurch wahr. Die Zeit der Ruhe war vorbei.
Ealwhina beeilte sich, stieg höher und höher. Durch die Luke ging es nach oben, wo ein scharfer Wind sie begrüßte.
York sah, aus der Höhe betrachtet, atemberaubend aus. Die Kamine und Schlote stießen Rauchwolken aus, es roch nach Feuer und Fluss, von dem sanfter Nebel aufstieg; sie würde den Anblick vermissen.
Zeit, etwas Gutes zu tun, nachdem ich den Menschen in der Stadt so viel Leid zugefügt habe.
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