Drachenkaiser
Gefecht winkte er ihr und kam zu ihr gelaufen. »Silena«, grüßte er sie und wirkte kaum angestrengt. »Gibt es etwas Neues?«
Sie fand es merkwürdig, dass sie von einem Mann bei dem Namen gerufen wurde, den in den letzten zwei Jahren nur Grigorij gebraucht hatte. Aber unangenehm war es ihr nicht, ganz im Gegenteil. »Zhiao bringt mich zu Brieuc«, gab sie zurück.
»Die Verstärkung rückt also allmählich an.« Er lächelte sie an, und sie freute sich drüber. Zu ihrer eigenen Verwunderung. Ahmat sah zum Chinesen. »Wann greifen wir an?«
»In einem Monat.«
Es war nicht schwer, die Enttäuschung aus dem Gesicht des Ägypters abzulesen. »Das ist nicht gut. Die Schwangerschaft der Großmeisterin hält nicht einfach vier Wochen an, nur weil uns die Zeit in den Fingern verrinnt.«
»Es geht nicht anders.« Zhiao erklärte es ihm, wie er es vorhin Silena erklärt hatte. »Außerdem müssen die Drachenheiligen die Lagepläne ebenso auswendig können wie Sie beide«, fügte er als Argument hinzu. »Falls Sie in der Verbotenen Stadt getrennt werden, ist es überlebenswichtig.«
Ahmat nickte stumm, aber mit zusammengezogenen Augenbrauen. Es passte ihm nach wie vor nicht; ändern konnte er es noch weniger. Schweigend kehrte er zu seinen Übungsgegnern zurück und nahm das Scheingefecht auf. Silena hatte den Eindruck, dass er härter zuschlug als vorher.
Sie versuchte, sich ein paar seiner Finten und Angriffe zu merken. Ihre Ausbildung mit dem Säbel und dem Schwert waren klassisch verlaufen, eine Mischung aus altem deutschem und modernem italienischem Stil. Brieuc, der den Zweihänder führte, hatte sich dagegen immer auf den deutschen Stil beschränkt. Gegen Drachen sicherlich effektiver.
Silena konnte sich am Gefecht nicht sattsehen. Dass es noch einen anderen Grund als Bewunderung für seine Kampfkunst geben könnte, verdrängte sie. Waffengeschwister, mehr sind wir nicht.
»Großmeisterin, sagen Sie mir, wann wir…«, warf Zhiao vorsichtig ein.
»Sicher, sicher. Brieuc«, erwiderte sie hastig und ging weiter.
Am anderen Ende der Arkade traten sie durch eine Tür und schritten an mehreren Papierwänden entlang, bis sie zu einer Tür gelangten, hinter der sie eine laute Stimme hörten.
»Er flucht noch immer«, sagte Zhiao seufzend.
»Gleich nicht mehr«, erwiderte sie und öffnete die Tür.
Brieuc, der seine weiße Ausgehuniform trug, die deutlich unter den Strapazen der ungewollten Reise gelitten hatte, hatte drohend den Zeigefinger gegen eine Chinesin gereckt, die ihn mit großen Augen anstarrte und ein Tablett mit Essen in der Hand hielt. Als er Silena sah, hellten sich seine Züge sogleich auf.
»Großmeisterin!«, rief er freudig. »Nicht mehr lange, und ich hätte jedes heidnische Schlitzauge umgebracht, das mir noch einmal Reis bringt! Ist es so schwer, in diesem riesigen Land Kartoffeln anzubauen?« Er kam auf sie zu und streckte die Hand aus. »Was bin ich froh, Sie zu sehen! Anfangs wollte ich die Geschichte nicht glauben.«
Silena schüttelte seine Hand und warf Zhiao einen kurzen Blick zu. »Welche Geschichte, Großmeister?«
»Die mir erzählt worden ist: Sie säßen in China fest und brauchten meine Hilfe. Ich war erst davon überzeugt, als Sie eben zur Tür hereinkamen.« Brieuc breitete ostentativ die Arme aus. »Können Sie mir einen guten Schneider besorgen, der meine Uniform wieder auf Vordermann bringt? So möchte ich nirgendwo auftauchen und gesehen werden.« Er fuhr sich mit der rechten Hand durch die unpomadierten Haare, mit der anderen nahm er die Fleischschale vom Tablett der Chinesin und scheuchte sie hinaus. »Verzeihen Sie, aber ich bin wirklich hungrig. Wobei soll ich Ihnen helfen? Und warum die Geheimniskrämerei?«
»Es geht um eine Sache von größter Wichtigkeit, und niemand, nicht einmal das Officium, darf im Vorfeld unserer Unternehmung etwas davon wissen. Jede noch so kleinste Vorbereitung kann die Gegenseite warnen. Und uns bleibt nur ein Versuch.« Silena nickte Zhiao zu, der Brieuc erklärte, was sie über Voss, die manipulierten Finanzen und den geplanten Börsenzusammenbruch sowie die Zusammenhänge mit dem Drachenkaiser wussten.
Brieuc setzte sich und aß abgelenkt, ohne zu murren; dabei goss er sich Jasmintee ein. Er nahm die Eröffnung erstaunlich gelassen und konzentriert auf und war mit dem Essen fertig, als der Chinese seine Erläuterung beendete. »Jetzt verstehe ich es«, sagte er daraufhin zu Silena. »Sie und ich gegen den Drachenkaiser.«
»Sie,
Weitere Kostenlose Bücher