Drachenkaiser
als du. Du wirst noch öfter solche Sprüche zu hören bekommen. Donatus und Ademar werden bestimmt in das gleiche Horn stoßen, wenn Brieuc sie dazu anstachelt. Kannst du das ertragen?«
»Ja.« Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Mach dir keine Sorgen. Ich gehe keinem von ihnen an die Gurgel.« Sein Lächeln wirkte auf sie anders als sonst. Direkter, offener und von einer ganz besonderen Art.
Sie schenkte ihm ebenfalls ein Lächeln und berührte seine Hand. Es war als freundschaftliche Geste gedacht, doch als Haut auf Haut traf, hatte Silena das Gefühl, dass sich plötzlich mehr abspielte. Ihr Herz schlug nicht allein vor Sorge so rasch in ihrer Brust, und ein warmer Schauer rann durch ihren Körper. Es kribbelte, als sie in seine Augen blickte. Das darf nicht sein! Die Situation erforderte einen klaren Kopf. Es müssen die verdammten Schwangerschaftsgefühle sein, die mich so verwirren.
Sie nahm die Finger wieder weg und machte einen Schritt zurück. »Eine Sache, über die ich mit dir sprechen muss«, sagte sie, um sich abzulenken. »Was ist, wenn wir nur als ausländische Attentäter dienen sollen?«
Ahmat hob fragend die Augenbrauen.
Silena seufzte. »Angenommen, der Kaiser von China ist kein Drache in Menschengestalt. Angenommen, Zhiao hat sich diese sehr stimmige Geschichte ausgedacht, damit wir den Herrscher umbringen und er die Schuld auf den Westen schieben kann. Wäre dann ein Krieg nicht unausweichlich?« Sie betrachtete sein Gesicht. »Das bereitet mir Kopfzerbrechen, Ahmat.«
Er legte die Rechte auf die Brust. »Mein Herz ist überzeugt von Zhiaos Worten, aber ich verstehe deine Zweifel sehr gut. Letztlich müssen wir entscheiden, wenn wir dem Kaiser gegenüberstehen.« Er zeigte auf ihr Amulett mit dem Lanzensplitter. »Es wird uns den Weg weisen.«
»Du hast recht. Wenn es nicht leuchtet und mir verrät, dass ich vor einem Drachen stehe, brechen wir die Mission ab.« »So soll es sein«, antwortete er lächelnd.
Silena strahlte ihn an und hatte das Verlangen, ihn zu berühren. Einfach so. »Bis später«, verabschiedete sie sich hastig und wusste nicht, warum sie ging.
»Ich werde noch ein wenig üben. Brieuc hat mir ja bewiesen, dass ich schlecht bin«, sagte er lachend. »Bis nachher, Silena.«
Sie lief in ihren Raum, schloss die Schiebetür und setzte sich auf den Stuhl, starrte die Pläne der Verbotenen Stadt an, obwohl sie die Zeichnungen und Bilder bereits auswendig konnte. Sie massierte sich die Schläfen.
Schlagartig erschien ihr alles zu viel: die Aufgabe, das Leben in dem fremden Land, in dem man Drachen verehrte wie Götter, die Reibereien zwischen
Brieuc und Ahmat, die leisen Gefühle, die sie für den Araber entwickelte, Grigorij, ihre Schwangerschaft, der Gedanke an ein Leben als Mutter…
Silena musste ansatzlos losheulen und konnte nicht mehr aufhören. Die Tränen regneten auf die Bilder und Pläne nieder und wässerten die Verbotene Stadt.
13. Januar 1927, nahe Palmnicken (Ost-Preußen), Königreich Preußen, Deutsches Kaiserreich
Leida ging mit ihren Leuten den Tunnel entlang, in dem der Lastwagen verschwunden war.
Sie trugen Wachsmäntel wie die Arbeiter in dem Bernsteinbergwerk. Sie hatten sieben Männer überwältigt, ihnen die dreckigen Kleider abgenommen und sie gefesselt in ein Gebüsch geworfen. In ihrer neuen Tarnung liefen sie offen über das Gelände und hatten sich dazu noch Schaufeln und Eimer genommen, um glaubwürdig zu wirken. Bislang funktionierte es.
In dem Tunnel sahen sie niemanden. Lampen an den Wänden sorgten für Licht, und in einiger Entfernung erkannten sie den Lastwagen. Männer waren zugange, luden große Kisten aus. Es roch stark nach vergammeltem Fleisch.
»Was machen wir, Boss?«, fragte Grimson und stolperte über eine der Bahnschwellen. Die alten Gleise lagen noch immer darin; dicht an die Wand gepresst verliefen die Rohre. Auch hier tropfte das Wasser.
»Wir sagen einfach, wir wären für das Beladen der Bomben abgestellt worden.« Sie näherten sich zügig dem Ende des Tunnels. »Tümmelmann, Sie reden mit den Typen. Ich könnte das zwar auch, aber mein Akzent würde denen sofort auffallen.«
Der Deutsche nickte.
Sie kamen um den Lastwagen herum und sahen ein Dutzend Männer, die Schlachterschürzen trugen und mit dem Abladen beschäftigt waren. Auf der Ladefläche stapelten sich die Kisten, im hinteren Abschnitt türmten sich die Rinder- und Schweinehälften bis zur Decke.
»Hallo«, sagte Tümmelmann zu einem der
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