Drachenkaiser
ehrenhaft!«, betonte er zunehmend verzweifelt, da er sah, was sein falsches Spiel ausgelöst hatte. »Ja, es ist wahr, meine Leute und ich verehren Drachen. Aber Sie wissen, dass unser Volk gute und schlechte Drachen kennt. Unser derzeitiger Kaiser ist ein Nie-Lung, einer der schlimmsten Sorte und ein Drachenvertilger.« Er sprach hastig, aufgewühlt, fuhr sich dabei durch die Haare. Sein Blick wurde panisch. »Er ist gierig, strebt nach Macht und nutzt die Weisheit seiner Art für seine eigene Bereicherung, anstatt sie für China einzusetzen. Dem durften wir nicht länger tatenlos zusehen.« Er ging vor ihnen auf die Knie, faltete die Hände. »Alles, was ich Ihnen über die Manipulationen der Wirtschaft und die Pläne sagte, stimmt!« Seine Stimme versagte, kehrte erst nach einigen Worten zurück. »Wenn Sie ihn nicht aufhalten, Großmeisterin und Ichneumon, wird die Welt unter seine Herrschaft fallen!«
Silena war sich sicher, dass man eine solche Verzweiflung nicht spielen konnte. Ein rascher Blick zu Ahmat sagte ihr, dass er ähnlich dachte. »Sie wissen, wer nach ihm auf den Drachenthron rücken wird – ist es einer Ihrer Favoriten, oder müssen wir in einem Jahr wieder von Ihnen entführt werden, um den nächsten Kaiser von China umzubringen?« Sie lehnte sich nach vorn, packte Zhiao am Nacken und zog ihn hoch. »Ist der nächste Kaiser auch wieder ein Nie-Lung?«, sagte sie barsch zu ihm.
»Nein, Großmeisterin. Die Dynastie der Ming steht seit Jahren bereit, um die Macht zu übernehmen, und die Menschen sehnen sich heimlich nach dem Wechsel. Früher stand die Ming-Dynastie für Wohlstand, Kunst und Handwerk blühten auf. Das soll sich wiederholen.«
»Warum tut es die Dynastie nicht selbst?«, warf Ahmat ein.
»Seit ihrer Vertreibung im siebzehnten Jahrhundert reichte ihr politischer Einfluss nicht mehr aus, um sich gegen den Nie-Lung aus der Qing-Dynastie zu behaupten. Der Wechsel muss daher mit Gewalt vollzogen werden.« Zhiao hatte Tränen im Gesicht. »Sie werden den Wechsel und das Glück zurück zu meinem Volk bringen, Großmeisterin. Versagen Sie sich nicht dieser Mission!«
Das Schicksal eines Volkes, des Kaiserreichs und mindestens der halben Welt. Voss‘ Pläne hatte sie gesehen, der Sturz der deutschen Börse stand bevor, und die Pläne reichten weiter. Das zumindest war keine Lüge. Silena sah zu Ahmad, der ihr zunickte. Sie hatten sich entschieden. »Von nun an, Zhiao, nur noch die Wahrheit, verstanden?« Sie half ihm auf die Beine. »Und ich will, dass wir nächste Woche beginnen.«
»Nächste Woche schon?«, sagte er erschrocken. »Nein, nein, das geht nicht! Der Drachenkaiser wird nicht alleine sein, und seine…«
»Überlassen Sie das uns, Zhiao«, unterbrach sie ihn. »Ichneumon und ich wollen es so. Wir haben lange genug gewartet. Suchen Sie uns den besten Tag der kommenden Woche aus, bringen Sie uns in die Verbotene Stadt.« Silena schlug ihm auf die Schulter. »Dann braucht China einen neuen Kaiser. Bestellen Sie das den Vertretern der Ming.« Sie ging zusammen mit Ahmat hinaus.
»Das machst du richtig gut«, sagte er grinsend. »Eine ähnliche Ansprache hätten die drei Kreuzritter verdient.«
»Die bekommen sie auch«, gab sie zurück und hakte sich bei ihm unter. Als sie sich ein wenig an ihn drückte, revoltierte nur ein sehr kleiner Teil ihrer Gefühlswelt dagegen.
XXI.
31. Januar, York, Vorstadt Ampleforth, Grafschaft Yorkshire, im Nordosten des Königreichs Großbritannien
Tremaine stand auf dem Turm des Colleges und schaute zusammen mit Eal-whina über die Dächer und die Landschaft, die sich um die Stadt York erhob.
Der Wind brachte sein dickes Sakko zum Wehen, und er drückte die Schirmmütze fester auf den Kopf. »Sie haben es geschafft«, sagte er beeindruckt. »Die Geister können bis an die Stadtgrenze und in die Vorstadt vordringen.«
»Mit Ihrer Hilfe, Mister Tremaine.« Sie lächelte den Mann an.
»Ich? Ich habe nichts getan.«
»Doch, das haben sie. Nämlich ein paar wissende Blicke als Medium auf die ektoplasmischen Besonderheiten geworfen und sie mir mitgeteilt.« Sie wurde ernst. »Aufrichtigen Dank dafür, Mister Tremaine.«
Er biss sich auf die Lippen. Ganz wohl war ihm nicht, er machte sich Sorgen. »Missbrauchen Sie Ihr Können nicht. Das ist alles, worum ich Sie bitte, Mylady.«
»Wie könnte ich es missbrauchen?«
»Was sollen die Sterblichen einem Wesen wie Ihnen anhaben können? Niemand kann sich gegen einen Geist verteidigen, es
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